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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof rügt Ärztlichen Leiter Rettungsdienst

30.04.2021, 12:36 Uhr

Foto: R. Schnelle

Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg aufgehoben


In einem inzwischen veröffentlichten Beschluss vom 21. April 2021 hat der 12. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Az. 12 Cs 21.702) die im Eilverfahren ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2021 (Az. RN 5 S 20.3242) aufgehoben. Über die erstinstanzliche Entscheidung wird in der aktuellen RETTUNGSDIENST berichtet. Ungeachtet der beanstandeten Unzuständigkeit der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Regensburg aus hier nicht weiter zu vertiefenden Gründen des streng zu beachtenden Geschäftsverteilungsplans sowie der kritisierten Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens im Eilverfahren verdienen folgende Leitsätze (8 – 12) der Beschwerdeentscheidung Beachtung:

  • „8. § 2a NotSanG erlaubt Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern entsprechend der bereits bisher praeter legem geltenden Rechtslage nunmehr auch ausdrücklich die situationsabhängige Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten und enthält insoweit eine Ausnahme vom Heilpraktikergesetz, das anderen Personen als Ärztinnen und Ärzten oder Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern die Ausübung der Heilkunde untersagt.
  • 9. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter übernehmen ab dem Zeitpunkt, in dem sie eigenverantwortlich entscheiden eine erlaubte heilkundliche Tätigkeit; sie tragen (auch haftungsrechtlich) die alleinige Verantwortung für die von ihnen ausgeübte Tätigkeit als solche und zugleich auch dafür, dass die vorgenommene Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer Durchführung die einzig mögliche und angemessene Option ist.
  • 10. Dabei ist die Ausübung der Heilkunde auf Situationen beschränkt, in welchen akut keine ärztliche Versorgung möglich ist, das Leben von Patientinnen und Patienten aber gleichwohl geschützt oder schwere Folgeschäden vermieden werden müssen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so sind Notfallsanitäterinnen und -sanitäter nicht nur zum Handeln berechtigt, sondern ausdrücklich verpflichtet; sie müssen ihrer Ausbildung entsprechend lebenserhaltende Maßnahmen oder Maßnahmen zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden in all diesen Fällen eigenverantwortlich ins Werk setzen. Dabei sind Notfallsanitäterinnen und -sanitäter gehalten, die jeweilige Einsatzsituation sorgfältig zu prüfen und zu bewerten.
  • 11. Der Verpflichtung zum eigenverantwortlichen Handeln korrespondiert eine retrospektiv nur eingeschränkt überprüfbare Einschätzungsprärogative. Zeigt sich etwa im Nachhinein, dass ein lebensbedrohlicher Zustand nicht vorgelegen hat oder keine wesentlichen Folgeschäden zu erwarten waren, so ist das Tätigwerden zwar objektiv als unzulässig zu bewerten, eine subjektiv vorwerfbare Ausübung der Heilkunde kann aber nur dann angenommen werden, wenn bereits im Rahmen einer ex-ante Betrachtung keine Lebensgefahr gedroht hat oder keine wesentlichen Folgeschäden zu erwarten waren und dies für die handelnde Notfallsanitäterin oder den handelnden Notfallsanitäter unter Berücksichtigung der im Einsatzgeschehen bestehenden Anspannung auch ohne Weiteres erkennbar war. Für die Beurteilung kommt es maßgeblich auf die Sicht der vor Ort anwesenden Notfallsanitäterin oder -sanitäters im Augenblick des Handelns an.
  • 12. Notfallsanitäterinnen und -sanitäter sind, sofern (not-)ärztliche Hilfe nicht zeitnah zu erlangen ist und die Voraussetzungen des § 2a Nr. 2 NotSanG vorliegen, eigenverantwortlich handelnder, heilkundlicher Teil der Rettungskette.“

Zu hoffen bleibt, dass der Einsatz am 13. August 2020 in einem Hauptsacheverfahren von der zuständigen Kammer juristisch sorgfältig aufgearbeitet wird. Wenn der 12. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof die Frage nach der Kompetenz des Ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes zur Führung eines größeren Personalkörpers aufwirft und ausführt, dass „für Selbstherrlichkeit und ‚Standesdünkel‘ im Rettungsdienst kein Raum ist“, so fordert er auch über den Einzelfall hinaus Verantwortliche zu Positionierungen bis hin zu politischen Entscheidungen auf. (Tries)



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