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Bei der Reanimation bleibt vieles, wie es bisher war

25.03.2021, 17:49 Uhr

ERC-Reanimationsleitlinien 2021 wurden heute veröffentlicht


Die von Expertinnen und Experten aus vielen Ländern unter dem Dach des „International Liaison Committee on Resuscitation“ (ILCOR) erarbeiteten Reanimationsleitlinien sollten im vergangenen Oktober eigentlich in der aktuellen Version von 2020 veröffentlicht werden. Nun hat die Corona-Pandemie auch den Zeitplan der Mammutaufgabe Leitlinien-Überarbeitung durcheinandergebracht. Heute sind auch die europäischen Leitlinien in ihrer aktualisierten Form veröffentlicht worden, mit Hilfe zahlreicher Expertinnen und Experten des German Resuscitation Council (GRC) auch auf Deutsch. Für diese ERC-Leitlinien wurden übrigens gezielte Literaturrecherchen über die vom ILCOR bearbeiteten Aspekte hinaus durchgeführt. Zusammengefasst dürfen wir konstatieren: Vieles bleibt so, wie wir es kennen.

Die Covid-19-Pandemie hat sich auf viele Aspekte von Kreislaufstillstand und Reanimation ausgewirkt. Die im vergangenen Jahr vom ERC veröffentlichten Covid-Leitlinien mussten nach Durchsicht hinzugekommener Literatur aktuell nicht geändert werden. Viele Punkte in den Leitlinien betreffen auch die Forschung, z.B. in Form von Datenbanken, aus denen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Aktuell überleben europaweit zwischen 0 und 18% der präklinischen Reanimationspatienten (im Durchschnitt 8%) bis zur Klinikentlassung. Innerklinisch sieht es mit 15 – 34% nach 30 Tagen bzw. bei Entlassung deutlich besser aus. Das durchschnittliche neurologische Ergebnis hängt davon ab, wie weit die Therapie im Verlauf eskaliert wird. Ohne bewusste Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen steigt die Rate an zwar erfolgreichen Reanimationen, bei denen die Wachkomarate aber bei 33% liegen kann. Überlebende haben auch bei gutem neurologischen Outcome häufig bestimmte Einschränkungen. In den Leitlinien wird auf die große Bedeutung organisatorischer Aspekte hingewiesen:

  • Förderung von Laienreanimation und AED-Einsatz
  • Optimierung der Ersthelferalarmierung
  • Ausbildung auch von Kindern
  • Auswahl geeigneter Zielkliniken
  • Telefonreanimation.

Beim Aspekt Telefonreanimation wird die Zusammenarbeit mit dem Einsatzpersonal erwähnt, was zur Überwachung und Verbesserung des Systems beitragen kann. Wer „nicht reagiert und nicht normal atmet“, soll reanimiert werden. Die stabile Seitenlage darf nur angewendet werden, wenn keine Atemspende oder Thoraxkompression notwendig ist. Die Atmung eines Patienten in Seitenlage muss ohne Pause überwacht werden.

Der Beginn einer Wiederbelebung ohne und mit Defibrillator bleibt ebenfalls gleich. Sämtliche „Eckdaten“ der Reanimation, von der Drucktiefe bis zum 30:2-Verhältnis, müssen wir uns also nicht neu merken. Auch die Kernaussagen zur erweiterten Reanimation sind uns bereits aus früheren Leitlinien bekannt:

  • Betonung hochwertiger Thoraxkompressionen mit minimalen Unterbrechungen, einem frühen Defibrillatoreinsatz und der Therapie reversibler Ursachen
  • Frühwarnsymptome erkennen
  • bei der Beatmung Basismaßnahmen und erweiterte Maßnahmen je nach Ausbildungsstand; nur Erfahrene mit hoher Erfolgsrate sollen endotracheal intubieren
  • frühzeitig Adrenalin bei Asystolie und PEA
  • bei ausgewählten Patienten – sofern möglich – die extrakorporale CPR (eCPR) erwägen.

Außerhalb von Forschungsvorhaben soll die duale Defibrillation nicht angewendet werden, also die Anwendung von zwei Defibrillatoren parallel bzw. ultrakurz hintereinander.

Die Leitlinien empfehlen uns ein schrittweises Herangehen ans Airwaymanagement, bis ein effektives Beatmen möglich ist. Man soll mit grundlegenden Atemwegstechniken beginnen und dann je nach Fähigkeiten eskalieren. Das klingt sehr pragmatisch. Wenig erfahrene Helfer werden sich auf eine effektive Maskenbeatmung beschränken, vielleicht sind sie auch mit einem supraglottischen Hilfsmittel vertraut und wenden ein solches an. Endotracheal intubieren soll laut Expertenkonsens nur, wer in dieser Technik gut ist. Das sind Helfer, die im Schnitt 19 von 20 Intubationen im spätestens zweiten Versuch schaffen. Wie bei der Defibrillation soll auch für eine Intubation angestrebt werden, die Herzmassage für höchstens 5 Sekunden zu unterbrechen.

Für die medikamentöse Therapie soll man zuerst versuchen, einen Venenzugang zu schaffen. Der intraossäre Zugangsweg ist also kein Standard, sondern die Alternative, wenn eine Vene nicht punktiert werden kann. Die Zeitpunkte und Dosierungen von Adrenalin bleiben unverändert: Bei Non-VF/VT so schnell wie möglich, bei VF/VT initial nach dem dritten Schock. Eine Wiederholung erfolgt jeweils nach 3 – 5 Minuten. Auch in neuen Leitlinien befindet sich zu Amiodaron leider weiterhin eine didaktische Unschärfe. Im Einsatz wird dies wenig relevant sein, in der Ausbildung aber sicher wieder zu Diskussionen führen: Bei Erwachsenen findet sich der Passus, dass die Erstdosis von 300 mg Amiodaron gegeben werden soll, wenn das VF/VT nach drei Schocks persistiert. In praxi würde das bedeuten, für diese Entscheidung eine weitere EKG-Analyse vorzunehmen oder die Analyse vor Schock 4 zu nutzen. Zur Erinnerung: Nach Erscheinen der Leitlinien 2015 etablierte sich die Auffassung: Amiodaron zeitgleich mit der Erstdosis Adrenalin nach dem dritten Schock. Im Kapitel Kinderreanimation soll man die Erstdosis Amiodaron (5 mg/kg) übrigens gemeinsam mit Adrenalin unmittelbar nach dem dritten Schock geben, sinngemäß heißt das: ohne Analyse. Die Alternative Lidocain wurde ja bereits im Jahr 2018 in einem ERC-Leitlinien-Update hochgestuft. Es kann alternativ zu Amiodaron eingesetzt werden und nicht nur dann, wenn letzteres nicht verfügbar ist, sondern auch, wenn man sich lokal dafür entscheidet (initiale Dosierung 100 mg i.v., nach dem 5. Schock gefolgt von einem zusätzlichen Bolus von 50 mg). Eine Lysetherapie wird empfohlen, wenn eine Lungenembolie als Ursache vermutet oder bestätigt wird. Danach muss über 60 – 90 Minuten weiterreanimiert werden. Eine Volumengabe soll nur bei Verdacht auf eine Hypovolämie gegeben werden.

Apparatetechnisch wird die Bedeutung der Kapnografie betont, und zwar sowohl für die Tubuslagekontrolle als auch für die Beurteilung der Qualität der Wiederbelebung. Ein plötzlicher Anstieg des etCO2 kann ein Hinweis auf einen ROSC sein. Die Thoraxkompressionen sollen allerdings nicht allein aufgrund dieses Zeichens unterbrochen werden. Außerdem sind niedrige etCO2-Werte unter Reanimation zwar prognostisch ungünstig, für sich alleine aber noch kein Grund, die Bemühungen zu beenden. Ein Point-of-care-Ultraschall (POCUS) unter laufender Reanimation kann helfen, potenziell reversible Ursachen aufzudecken. Nur qualifizierte Anwender sollen dies versuchen, wobei POCUS nicht zusätzliche oder längere Unterbrechungen verursachen darf. Zu beachten ist, dass eine isolierte rechtsventrikuläre Dilatation allein noch nicht die Diagnose Lungenembolie erlaubt. Ebensowenig kann die Beurteilung der Myokard-Kontraktilität durch Ultraschall als alleiniger Indikator für einen Reanimationsabbruch angesehen werden. Mechanische Geräte zur Thoraxkompression werden in den Leitlinien nicht als Standard angesehen, sondern nur, wenn die Umstände es erfordern und auch nur durch geschultes Personal, damit Unterbrechungen der Herzmassage minimiert werden. Ein Einsatz der extrakorporalen CPR (eCPR) soll in ausgewählten Situationen erwogen werden.

Kleine Besonderheiten finden sich im Abschnitt Arrhythmien. Zu achten ist auf Druckfehler bei manchen Dosierungen, die sicher noch korrigiert werden (mg statt µg!) Die Dosierung von Adenosin bei regelmäßiger Schmalkomplextachykardie lautet nun eskalierend 6 – 12 – 18 mg. Bei Bradykardien, die mit bedrohlichen Symptomen einhergehen, soll man laut Leitlinientext weiterhin mit Atropin beginnen. Wie bisher heißt es: „Erwägen Sie eine Schrittmachertherapie bei instabilen Patienten mit symptomatischer Bradykardie, die auf medikamentöse Therapien nicht anspricht.“

Die Reanimation unter besonderen Umständen soll ebenfalls im Wesentlichen wie bisher durchgeführt werden. Es wird aber mehr Wert auf die reversiblen Ursachen gelegt. Speziell überarbeitet und ergänzt wurden die Abschnitte Traumareanimation und Intoxikationen. Bei schwerer Anaphylaxie wird für Erfahrene als i.v.-Dosierung von Adrenalin 20 – 50 µg angegeben. Die Erstbehandlung erfolgt wie bisher mit 0,5 mg Adrenalin i.m.

Auch in den Abschnitten Neugeborenenreanimation und Kinderreanimation fand eine leichte Überarbeitung (ohne ganz entscheidende Neuerungen) statt. In die Empfehlungen zur Versorgung Neugeborener wurden neue Erkenntnisse eingepflegt, z.B. bei der Abnabelung (lieber verzögert), dem Wärmehaushalt (entscheidende Bedeutung!) sowie bei der Beatmung (Steuerung des Sauerstoffgehalts nach präduktaler Sättigung). Die Technik der Basismaßnahmen bleibt gleich: Verhältnis 3:1, Zwei-Daumen-Technik bei den Thoraxkompressionen, Drucktiefe 1/3 des Thoraxdurchmessers. Auch bei der Kinderreanimation (durch Profis 15:2) bleiben die wesentlichen Eckdaten unverändert. Die Entscheidung zur Intubation (durch Erfahrene) soll immer gegen das Risiko bei diesem Verfahren abgewogen werden. Auch supraglottische Atemwegshilfen sollen nur von kompetenten Helfern angewendet werden. Die Schockenergie beträgt 4 J/kg, eine stufenweise Steigerung bis 8 J/kg (max. 360 J) kann bei Misserfolg (ab 6. Schock) erwogen werden.

Wie bisher auch runden Aussagen zu Erste-Hilfe-Themen (bis zu herausgebrochenen Zähnen), Kommunkationsaspekten, ethischen Gesichtspunkten und vielem mehr das Leitlinienpaket ab. Großer Dank gebührt allen, die daran (unter aktuell ja erschwerten Bedingungen) mitgearbeitet haben. (R. Schnelle)

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