Sicher ist: Alle Bundesländer müssen ihre Rettungsdienstgesetze an die durch das Notfallsanitätergesetz geschaffene neue Situation anpassen. Bayern übernimmt dabei eine Vorreiterrolle. Insofern hat die Entwicklung im südlichsten Bundesland modellhaften Charakter und verdient bundesweite Aufmerksamkeit.
Der Landesverband Bayern des Marburger Bundes hat „Denkanstöße“ veröffentlicht, die fundamentale Kritik an zwei wesentlichen Neuregelungen enthalten – zum einen wird die Weisungsbefugnis des Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) auch gegenüber Notärzten als Eingriff in die ärztliche Unabhängigkeit zurückgewiesen, zum anderen wird die Delegationsfähigkeit bislang dem Arzt vorbehaltener Maßnahmen an Notfallsanitäter mit Ausnahme des eng begrenzten konkreten Einzelfalles bestritten.
Argument 1: Der Notarzt muss ärztlich-fachlich weisungsfrei entscheiden, ein Weisungsrecht des ÄLRD gegenüber Notärzten darf es nicht geben
Auf die Klinik übertragen hieße das: Der angestellte Arzt ist ärztlich-fachlich weisungsfrei, Anweisungen von Chef- und Oberärzten zur Wahl des Operationsverfahrens, des geeigneten Medikaments darf es nicht geben? Auf den ersten Blick wird deutlich, dass sich der Marburger Bund hier gedanklich vergalloppiert hat. Es muss ein ärztlich-fachliches Weisungsrecht des erfahrenen Vorgesetzten geben, und das ist im Rettungsdienst der ÄLRD.
Argument 2: Eine Delegation ärztlicher Maßnahmen ist nur im Einzelfall möglich, der Notfallsanitäter haftet zivil- und strafrechtlich im Rahmen der Notkompetenz
Der Marburger Bund verkennt die Rechtsstellung des Notfallsanitäters, der eine hoheitliche Aufgabe ausführt und somit den Schutz der Amtsträgerhaftung genießt. Hält sich der Notfallsanitäter an die vom ÄLRD im Namen des Trägers des Rettungsdienstes in Form von SOP erlassenen Handlungsanweisungen, haftet zivilrechtlich der kommunale Träger des Rettungsdienstes für seinen Amtsträger, auch wenn dieser beim DRK oder anderen Beauftragten angestellt ist.
Das wackelige Rechtskonstrukt des „rechtfertigenden Notstandes“ (das meint der Marburger Bund vermutlich mit der Formulierung „rechtfertigender Notfall“) hat in einem modernen Rettungsdienst nichts mehr zu suchen, Rechtssicherheit und Regelkompetenz wie im Notfallsanitätergesetz gehören in den Landesrettungsdienstgesetzen festgeschrieben. Der Ärztliche Leiter darf sich bei der Festlegung der Kompetenzen („Delegation“) eines nach Bundes- und Landesrecht ausgebildeten und amtlich geprüften Notfallsanitäters auf das Beherrschen der in der Ausbildung vermittelten Maßnahmen sicherlich ebenso verlassen wie auf die Gewährleistung des „Facharztstandards“, wenn von einem Arzt die entsprechende Urkunde vorgelegt wird.
Der Marburger Bund ist die gewerkschaftliche Interessenvertretung der angestellten Klinikärzte. Insoweit ist es sein gutes Recht und seine Pflicht, allen Entwicklungen entgegenzutreten, die die Interessen seiner Klientel beeinträchtigen könnten. Freilich: Je fadenscheiniger und dünner die vordergründig eingebrachten Argumente, umso offenkundiger wird die Zielrichtung solcher „Denkanstöße“. Gesichtspunkte der Optimierung der rettungsdienstlichen Versorgung von Notfallpatienten und der Erhöhung der Patientensicherheit und der Qualität im Rettungsdienst sucht man in den „Denkanstößen“ vergeblich – warum wohl?