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„Flächentarifverträge sind in der Tat sinnvoll“

11.03.2011, 14:27 Uhr

Promedica-Geschäftsführer zum Haustarifvertrag

Der Abschluss eines Haustarifvertrages zwischen der Promedica Rettungsdienst GmbH und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Ver.di) am 4. März 2011 hat für lebhafte Diskussionen gesorgt. Promedica hatte nach längeren und zum Teil kontroversen Verhandlungen als erstes Privatunternehmen im deutschen Rettungsdienst einen verbindlichen Tarifvertrag für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Unternehmensgruppe abgeschlossen. RETTUNGSDIENST sprach mit Ingo Lender, dem Geschäftsführer der Promedica Rettungsdienste, über die Vorteile von Tarifverträgen, die Sicht der Mitarbeiter und mögliche Nachahmer-Effekte anderer Hilfsorganisationen.

RETTUNGSDIENST: Was versprechen Sie sich von einem Firmentarifvertrag?

Lender: Ohne Tarifbindung sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einer adäquaten Gehaltsentwicklung faktisch abgeschnitten, da eine Entwicklung von Gehältern und Arbeitsbedingungen gegenüber den Kostenträgern ansonsten fast nicht vermittelbar ist. Ein weiterer Grund für eine ordentliche Tarifbindung sind entsprechende Forderungen öffentlicher Auftraggeber aber auch der Politik, die zunehmend kritisch mit dem Thema umgeht. Es ist gesellschaftlich nach unserer Wahrnehmung klar gewünscht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu fairen Bedingungen beschäftigt werden. Und nicht zuletzt ist es aber auch unser Wunsch, dass unsere Leute in unserem Unternehmen gute Bedingungen vorfinden.

RETTUNGSDIENST: Wie gestalteten sich die Vertragsverhandlungen mit der Gewerkschaft?

Lender: Zunächst sind wir dankbar, dass Ver.di im Interesse der bei uns beschäftigten Mitglieder bereit war, das Projekt Tarifvertrag gemeinsam mit uns anzugehen. Die eigentlichen Verhandlungen waren zunächst mal ein sehr formeller Akt, der nach den gesetzlichen Vorgaben ausgestaltet war. Im Verlauf der Verhandlungen gab es dann stark unterschiedliche Stimmungen. Beide Seiten hatten Punkte, an denen der Verhandlungsspielraum sehr klein oder nicht gegeben war. Jeder Verhandlungspartner hat letztlich aber auch Zugeständnisse gemacht, die für die Zukunft große Herausforderungen darstellen werden. Es gilt jetzt, die Ergebnisse der Verhandlung bei Kunden, Kostenträgern und öffentlichen Auftraggebern zu kommunizieren und dafür zu sorgen, dass dort eine entsprechende Akzeptanz erzielt wird.

RETTUNGSDIENST: Wie ist der Tenor bei Ihren Mitarbeitern zu den ausgehandelten Verträgen?

Lender: Hierzu können wir zu diesem Zeitpunkt nur „erste“ Stimmungen weitergeben. Bisher hatten wir Gelegenheit, den gesamten Vertrag an nur zwei unserer Standorte gemeinsam mit den Betriebsräten zu präsentieren. Jedenfalls dort freuen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die für sie positive Entwicklung, sehen allerdings auch, dass diese Entwicklung im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit für unser Unternehmen mit Risiken behaftet ist.

RETTUNGSDIENST: Glauben Sie, es könnte zu einem Nachahmer-Effekt bei anderen „Privaten“ kommen?

Lender: Unternehmen, die daran interessiert sind, künftig noch am öffentlichen Rettungsdienst teilzunehmen, werden nach unserer Auffassung auf Dauer nicht an einer ordentlichen Tarifbindung vorbeikommen. Wir sehen aber durchaus auch für die gewerblichen Bereiche eine Entwicklung, da es immer weniger toleriert werden wird, dass rettungsdienstliches Personal nachteilige Bedingungen vorfindet. Der gewerbliche Bereich hat hier allerdings das Problem, dass Kostensteigerungen nur sehr schwer realisierbar sind und der Rechtsweg zur Durchsetzung von auskömmlichen Gebühren in den meisten Bundesländern faktisch nicht vorhanden ist.

RETTUNGSDIENST: Hielten Sie einen solchen Nachahmer-Effekt gar für wünschenswert?

Lender: Wünschenswert fänden wir, wenn das Niveau insgesamt eine nach oben gerichtete Tendenz hätte. Dazu gehört dann aber auch eine echte Entwicklung des Berufsbildes, das letztlich auch dazu führen muss, dass unser Personal auf dem Boden bei besserer Qualifikation eine höherwertige Dienstleistung erbringen kann.

RETTUNGSDIENST: Ist der Tarifvertrag vielleicht auch eine Art Selbstschutz vor drohenden (Billig-) Anbietern aus dem (europäischen) Ausland?

Lender: Wir sehen überhaupt keine (Billig)-Anbieter aus dem Ausland. Vielleicht gibt es Mitbewerber aus dem Ausland, die nach unserer Meinung keinesfalls günstiger sein werden als etablierte Unternehmen im Lande. Wenn mit der Frage aber gemeint ist, ob wir den Tarifvertrag als Schutz von Preisdumping im Rettungsdienst nutzen möchten, können wir das bestätigen. In dieser Frage sind wir übrigens im Einklang mit der Gewerkschaft.

RETTUNGSDIENST: Halten Sie Flächentarifverträge im RD mittel- bis langfristig für realistisch und für sinnvoll?

Lender: Wir würden das in der Tat für sinnvoll halten. Jüngste Entwicklungen zeigen allerdings auf, dass es derzeit im Kreise der großen Rettungsdienstanbieter dafür wohl keine Bereitschaft gibt. Hier ist insbesondere Ver.di gefordert.

RETTUNGSDIENST: Kritiker halten Ihnen entgegen, bisher sei die Nachricht vom Firmentarifvertrag „nur ein Aufkleber an der Scheibe“. Können Sie etwas zu den Konditionen des Vertrages sagen?

Lender: Es handelt sich um einen mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft geschlossenen Vertrag. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass Ver.di wohl kaum aus lauter „Freundschaft“ zu Promedica schlechtere Konditionen als in anderen etablierten Verträgen zulässt.  Die vereinbarte Entgelttabelle liegt übriges zur Zeit oberhalb des TVöD, Zuschläge werden im üblichen Rahmen gewährt. Die Arbeitszeit beträgt 40 Stunden und kann bei Vorliegen bestimmten Bedingungen auf bis zu 48 Stunden verlängert werden. Also alles wie in anderen Verträgen auch, was für die sonstigen Regelungen des Vertrages ebenfalls gilt.

RETTUNGSDIENST: Könnten Sie abschließend kurz erläutern, was in den „Göttinger Positionen“ des BKS-Bundesverbandes formuliert wird?

Lender: Durch private Krankentransport- und Rettungsdienste in Deutschland werden inzwischen rund 2.400.000 Einsätze mit 1.600 Einsatzfahrzeugen und rund 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Jahr geleistet. Der Jahresumsatz der Unternehmen liegt bei ca. 380.000.000 Euro.

Im Rahmen einer Unternehmertagung im Jahre 2010 in Göttingen haben die Unternehmer einmal formuliert, wofür die privaten Rettungsdienste in Deutschland eigentlich stehen, wofür sie sich einsetzen und was sie für die Entwicklung des Rettungsdienstes in Deutschland fordern. Es gibt in den „Göttinger Positionen“ folgende Kapitel mit entsprechenden Unterpunkten und Ausarbeitungen:

  • klare Marktstrukturen,
  • Wettbewerb ist Innovation,
  • Qualität,
  • zukunftsorientierte Berufsentwicklung.

Die dort entwickelten Positionen sind kein Geheimnis und sollen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

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