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Ist der neue § 2a NotSanG ein Placebo des Gesetzgebers?

28.01.2021, 16:18 Uhr

Foto: K. von Frieling

Kommentar zu Risiken und Nebenwirkungen der Gesetzesänderung


Heute ab 17.30 Uhr stehen im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Lesung und somit die Verabschiedung des Gesetzes zur Reform der technischen Assistenzberufe in der Medizin und zur Änderung weiterer Gesetze an, damit auch des Notfallsanitätergesetzes (NotSanG). Mit der Applikation eines neu in das NotSanG eingefügten § 2a soll dem Rettungsdienst endlich Klarheit im Kompetenzgerangel vermittelt werden. Bis auf den letzten Drücker gab es erhebliche Unstimmigkeiten über den Gehalt der neuen Kompetenzregelung (Drucksache des Deutschen Bundestages 19/24447, dort die S. 46, die Begründung S. 85-87, die divergierende Stellungnahme des Bundesrats S. 104-105 und wiederum die Stellungnahme der Bundesregierung S. 111-112). Der Gesundheitsausschuss hat sich schließlich gestern zur abgespeckten Variante des § 2a NotSanG bekannt und diese heute zur Verabschiedung empfohlen.

Dieser empfohlene § 2a NotSanG hat aus meiner Sicht allerdings nur einen Placeboeffekt, der sich in der notfallmedizinischen Praxis sogar als kontraindiziert erweisen kann. § 2a („Eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter“) soll wie folgt lauten (Fettdruck vom Verfasser zur Verdeutlichung angebracht):

„Bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder bis zum Beginn einer weiteren ärztlichen, auch teleärztlichen, Versorgung dürfen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter heilkundliche Maßnahmen, einschließlich heilkundlicher Maßnahmen invasiver Art, dann eigenverantwortlich durchführen, wenn

  1. sie diese Maßnahmen in ihrer Ausbildung erlernt haben und beherrschen und
  2. die Maßnahmen jeweils erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden.“

Der Gesetzgeber würde damit klarstellen, dass Notfallsanitäter dem Heilkundevorbehalt unterliegen. NotSanG und HeilPrG werden somit nicht, wie ich es immer gesehen und gefordert habe, als gleichwertige Bundesgesetze mit unterschiedlichen, gleichrangigen Regelungsbereichen (vereinfacht formuliert: Retten – Heilen) verstanden. Notfallsanitäter haben sich vielmehr vor allem für ihre invasiven Rettungsmaßnahmen in besonderer Weise, weil gegen das HeilPrG verstoßend, zu rechtfertigen. In besondere Weise, weil nicht nur am (mutmaßlichen) Willen des Patienten (der scheint in der Diskussion auch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen) und den üblichen Arbeitsanweisungen, sondern an den Vorgaben eines strafrechtlichen Rechtfertigungsgrundes (§ 34 Strafgesetzbuch) orientiert. Der Gesetzgeber hat zwar in § 4 Abs. 2 Nr. 1 c) und Abs. 2 Nr. 2 c NotSanG beschrieben, unter welchen Umständen Notfallsanitätern notfallmedizinische Maßnahmen möglich sein sollen. Die schon lange diskutierte Rechtsunsicherheit im Verhältnis zum Heilpraktikergesetz wurde damit aber nicht beseitigt. Mit § 2a NotSanG soll jetzt klargestellt werden, wann „gerettet“ werden darf, ohne dass es einer Rechtfertigung über § 34 StGB bedarf.

Tatsächlich würden den nicht-ärztlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rettungsdienst (selbstverständlich erst recht auch Rettungsassistentinnen/Rettungsassistenten und Rettungssanitäterinnen/Rettungssanitätern) damit deutliche Grenzen bei ihrer Arbeit aufgezeigt, insbesondere wegen des strikten Arztvorbehalts und des erwarteten Beherrschens einer Maßnahme (das ist in den hier relevanten Notfallkonstellationen eher die Ausnahme). Solche gesetzgeberischen Formulierungen verdrängen ein am (mutmaßlichen) Willen des Patienten in der Notfallsituation orientiertes entschlossenes, selbstverständlich abgewogenes Handeln. Verunsicherung besteht somit weiterhin für die invasiven Maßnahmen, die nicht beherrscht (höchste Stufe des Verstehens und Könnens) werden. Der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB würde mit der in den Voraussetzungen noch strengeren Neuregelung ins Abseits gedrängt. Erschwerend kommt hinzu, dass der wesentlich wichtigere Rechtfertigungsgrund für die mit invasiven Maßnahmen einhergehende Körperverletzung, nämlich die (mutmaßliche) Einwilligung des Patienten, mit dem Signal des Gesetzgebers eine Einschränkung erfahren könnte. Patienten werden ihr Einverständnis möglicherweise zunehmend vom Beherrschen einer Maßnahme abhängig machen und insbesondere im Schadensfall darauf ihre Haftungsforderungen stützen.

Ein Trost bleibt bei alledem: Die von der Bundesregierung ursprünglich bevorzugte Fassung des § 2a NotSanG wäre in ihren Nebenwirkungen noch schlimmer gewesen.

Ralf Tries
ist Direktor des Amtsgerichts Montabaur, Rettungsassistent und RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied

Stumpf + Kossendey Verlag, 2024
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