Hatten wir nicht vor wenigen Monaten noch eine der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegszeit? Ist nicht zuletzt in diesem Zuge die Staatskasse an die Bankrottgrenze und zum Teil darüber hinaus belastet? Haben wir nicht speziell in Deutschland spätestens vor 20 Jahren Erfahrungen damit gemacht, was Staatswirtschaft mit einem Land und seiner Bevölkerung macht? Kann es denn wirklich sein, dass man schon vergessen hat, wie es früher war, wenn man mit der Bahn gefahren ist oder einen Telefonanschluss haben wollte?
Wie ist es dann zu erklären, dass der Staat jetzt in Form kommunaler Rettungsdienstträger auftritt und sich als der bessere Leistungserbringer präsentiert? Deutschland ist europäisches Kernland und rühmt sich, den europäischen Einigungsgedanken mit Macht nach vorne zu treiben. Deutschland ist Exportweltmeister und wie kein zweites Land auf der Welt davon abhängig, dass deutsche Produkte und Dienstleistungen im Ausland gekauft werden. Geht es aber um einen freien Wettbewerb in genau diesem Europa, von dem Deutschland so massiv profi tiert und für das es so unerschütterlich steht, gibt es auf einmal Vorbehalte, Qualitätsbedenken, Lohn-Dumping-Verdächtigungen und weitere nachhaltige Gründe, die einen Wettbewerb zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger unmöglich machen.
Selbstverständlich kann man auf dem Boden des Vergaberechts jeden Auftrag in Europa nach Deutschland holen. Selbstverständlich erlaubt sich Deutschland genau dieses Vergaberecht noch in verschärfter Form in nationales Recht umzusetzen. Unzweifelhaft gilt das aber nur soweit, solange nicht etwa ein dänisches Fahrzeug in Deutschland ein Blaulicht bekommt. Denn das wäre natürlich das Ende des Abendlandes und Tod und Verderben der Notfallpatienten, Lohn-Dumping und Schlechtleistung drohen. Kommunale Vertreter, die sinngemäß solche Aussagen machen, wissen im Grunde sehr genau, dass ihre Thesen unhaltbar sind.
Jetzt nimmt der Staat den Rettungsdienst in seinen wärmenden Schoß – koste es, was es wolle. Die Kommunen räumen ganz offen massive Kostensteigerungen ein. Die Kostenträger ergeben sich zwangsweise in Lethargie und haben sich offensichtlich längst mit den erheblichen Mehrkosten abgefunden. Wenn es denn im Einzelfall mal schief geht vor einer Schiedsstelle, springt der Steuerzahler in die Bresche. Der kennt das schließlich schon von der Finanzwirtschaft und wundert sich weiter nicht. Schließlich geht es um Leib und Seele, und das kann man doch nicht dem Wettbewerb und schon gar nicht irgendwelchen Ausländern überlassen. Nein, das muss anders laufen. Wenn dann dabei die etablierten Leistungserbringer leider ebenfalls keine Teilnehmer im Rettungsdienst mehr sind, dann bieten wir den Ehrenamtlichen noch ein bisschen Rettungsdienstmitfahrgelegenheit an und haben flugs die wenigen Bedenkenträger aus der Politik auch gleich eingefangen.
Man fragt sich, was das eigentlich soll. Wofür soll das hilfreich sein? Die Antwort ist sehr leicht und sehr traurig. Kommunen, die sich in der Kunst der rettungsdienstlichen Ausschreibung versucht haben, taten dies oft ungeschickt, ungeübt und diskriminierend. Das Vergaberecht sieht aber Gleichbehandlung, Wettbewerb und Transparenz vor. Güter, die übrigens in einer demokratischen Gesellschaft elementar sein sollten. Als Erkenntnis daraus ist dann nur in wenigen Kreis- und Rathäusern angekommen, dass man auch den Rettungsdienst einfach auf dem Boden europäischen Rechts vergeben muss und alles funktioniert, ist rechtskonform, hochwertig und wirtschaftlich. Ebenso wie jeder andere öffentliche Auftrag. Ein Vorgang, der in Rathäusern eigentlich so normal ist, wie das Ausstellen eines Personalausweises.
Groß hingegen ist die Gruppe der Rettungsdienstträger, die sich auf Umgehungstaktiken spezialisiert hat. Zugegeben, Hintertüren gibt es wenige. „Also was nützt es ... wir verstaatlichen entschädigungslos. Politik und Bürger fangen wir dann mit den vorgenannten Szenarien ein, machen noch ein wenig deutlich, dass es hier schließlich um Leben und Tod geht, und der Ausschreibungsspuk ist vorbei. Gott sei Dank, es herrscht wieder Ruhe im Rathaus!“
Diese Ruhe in der Rathäusern ist aber für alle trügerisch. Also sollten dringlich alle am Rettungsdienst Beteiligten gemeinsam die Ruhe in den Rathäusern verhindern, wenn sie auch in einigen Monaten noch Mitwirkende im deutschen Rettungsdienst sein möchten.
Autor: Ingo Lender, Geschäftsführer promedica Rettungsdienste, hauptverwaltung(at)promedicarettungsdienst.de
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