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Mein lehrreichster Rettungsdienst-Einsatz

05.04.2018, 13:59 Uhr

Foto: K. von Frieling

Neue Rubrik in der RETTUNGSDIENST


Es gibt Einsätze, die etwas verändern. Nicht, weil sie außerordentlich spektakulär oder perfekt waren, sondern weil sie einen Lerneffekt angestoßen haben. Solche Einsätze stellen wir regelmäßig in der RETTUNGSDIENST vor. Diesmal schreibt Marcel Szyszka, Notfallsanitäter aus Osnabrück, 24 Jahre, über das Problem der beeinträchtigenden Routine (der Beitrag erschien in der RETTUNGSDIENST 1/2018).

Wieder einmal kündigt die Leitstelle einen Routineeinsatz an. Krankentransport, ohne Sondersignal. Nur mit dem Tragetuch ausgestattet, begeben wir uns in den ersten Stock eines Mehr­familienhauses. Der Patient leidet an Tetraplegie und ist bett­lägerig, ansprechbar und orientiert. Die Ehefrau gibt uns die Einweisung und den Transportschein. Ein Ileus soll ausgeschlossen werden. Der Bauch sei zwar immer hart und gebläht, aber heute mit besonderer Ausprägung. Kein neues Problem, der Hausarzt war vor Ort. Kein Notfall. Der Patient wird auf das Tragetuch umgelagert – kein leichtes Unterfangen, denn neben der Immobilität erschwert uns das nicht unerhebliche Körpergewicht die Transportvorbereitung und -durchführung. Trotzdem gelingt die Treppenhauspassage.

Auf dem Weg zum RTW wird mir plötzlich klar, dass dieser Patient eigentlich kritisch ist. Ich zwinge mich aus dem Krankentransport-Trott heraus und schalte in den Notfall-Modus um. ABC statt KTW! Der Atemweg ist kompromittiert, denn im Mundwinkel sind Reste von Erbrochenem zu sehen und es erklingt ein am ehesten pharyngeal lokalisiertes Rasselgeräusch. Die Atmung ist stark beschleunigt. Auf Nachfrage gibt der Patient eine Dyspnoe an. Die Sättigung kann bei schlechter Pulskurve (Zentralisation?) nicht reliabel gemessen werden. Zwischenzeitlich erscheint ein Wert von 60%. Wir saugen nasopharyngeal ab und verabreichen hochdosierten Sauerstoff. Das EKG zeigt eine Sinustachykardie mit einer Frequenz von 105/min; Blutdruck: 150/80 mmHg. Der Kopf ist hochrot und schweißig. Die Venensituation ist prekär, der Patientenzustand mittlerweile hochkritisch. Wir verzichten auf zeit­raubende Punktionsversuche und beginnen einen zügigen Transport mit Sonderrechten. Der Patient wünscht jedwede Intensivtherapie. Kurz nach der Übergabe in der Klinik wird er reanimationspflichtig. Nach primär erfolgreicher Wiederbelebung wird er auf die Intensivstation verlegt.

Der Moment, in dem man wach sein muss – fast hätte ich ihn in diesem Einsatz verpasst. Es gibt offenbar Fälle, die bereits durch ihre Einleitung mit dem Alarmierungsstichwort ein Verharmlosungspotenzial enthalten. Hausarzt war vor Ort, Einweisung, Krankentransport, schon länger bestehendes Problem – manchmal beeinträchtigt Routine die Wachsamkeit und führt zur Unterschätzung von Zuständen und Verläufen.

Meine Lehren aus diesem Einsatz: Ich wende die ABCDE-Untersuchung als Prinzip und Bestandteil der Routine in jedem Einsatz an. Und kommuniziere! Denn nur so können Einschätzungen geteilt und ggf. angepasst sowie Pläne verbindlich im Team festgelegt werden.

Haben auch Sie einen Einsatz erlebt, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist? Dann schreiben Sie uns: frieling(at)skverlag.de

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