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Notfallsanitätergesetz ist „Schlag ins Gesicht der Retter“

18.11.2013, 11:51 Uhr

Foto: K. von Frieling/privat

Interview mit Beschwerdeführer Karl-Heinz Groß

Rettungsassistent Karl-Heinz Groß aus Rheinland-Pfalz hat Verfassungsbeschwerde gegen das neue Notfallsanitätergesetz (NotSanG) eingelegt (wir berichteten hier). Verfassungswidrig ist in seinen Augen die Regelung, wonach Rettungsassistenten nur nach Nachschulung und Prüfung zum Notfallsanitäter übergeleitet werden können. RETTUNGSDIENST sprach mit ihm über seine Beweggründe.

RETTUNGSDIENST: Herr Groß, Sie haben sich zu einer Verfassungsbeschwerde gegen das neue NotSanG entschlossen. Was stimmt in Ihren Augen nicht mit dem Gesetz?

Groß: Das Gesetz ist nach meiner Ansicht verfassungswidrig, weil die Rettungsassistenten nicht übergeleitet werden. Die Einzelheiten habe ich in meiner Verfassungsbeschwerde ausführlich dargelegt. Neben dem Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz „Gleichheit vor dem Gesetz“ wird auch gegen Artikel 12 Grundgesetz „Freiheit der Berufsausübung“ verstoßen. Die Bundesregierung begründet die fehlende Überleitung der Rettungsassistenten damit, dass die zukünftigen Notfallsanitäter über Kenntnisse verfügen müssten, über die die derzeitigen Rettungsassistenten nicht verfügen können, weil diese erst in der zukünftigen Ausbildung vermittelt werden. Sie versucht damit den Eindruck zu erwecken, dass mit dem Notfallsanitäter ein neuer Beruf geschaffen wird. Das stimmt jedoch nicht. Im Notfallsanitätergesetz werden die Lernziele exakt definiert. Jeder einzelne Satz aus diesem Lernzielkatalog beschreibt aber genau die Tätigkeiten, die Rettungsassistenten schon heute ausüben. Im Notfallsanitätergesetz wird kein einziges Lernziel definiert, das nicht heute schon zum normalen Tätigkeitsfeld der Rettungsassistenten gehört. Auch das wird in meiner Verfassungsbeschwerde im Einzelnen und wie ich finde, schlüssig, nachgewiesen. Wenn dies so ist, dann ist die Begründung der Bundesregierung, den Rettungsassistenten die Überleitung zu verweigern, hinfällig. Damit ist der schwerwiegende Eingriff in die Rechte der Rettungsassistenten, der damit verbunden ist, ungerechtfertigt und verfassungswidrig. Die Behauptung der Bundesregierung man müsse den Rettungsassistenten die Überleitung in das neue Recht, „zum Schutz der Patienten“ verweigern, ist ein Schlag ins Gesicht für alle Rettungsassistenten, die täglich einen guten Job machen. Ich kann nicht verstehen, dass eine solche Behauptung nicht alle Kolleginnen und Kollegen auf die Barrikaden treibt.

RETTUNGSDIENST: Hat der Gesetzgeber nun nach Ihrer Ansicht lediglich schlampig gearbeitet oder hat er elementare Rechtsgrundsätze außer Acht gelassen?

Groß: Ich denke nicht, dass der Gesetzgeber schlampig gearbeitet hat. Das Gesetz wurde in Windeseile durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht. Die dritte Lesung fand meines Wissens an einem Freitag nach 23:00 Uhr und ohne Aussprache statt. Das Gesetz ist so verabschiedet worden, wie es der erste Referentenentwurf vorgesehen hat. Kein einziger Punkt, den zum Beispiel die Gewerkschaft ver.di und andere schriftlich und mündlich in den Anhörungen vorgetragen haben, ist berücksichtigt worden. Damit, dass im Gesetz die Festlegung der Behandlungsstandards an die örtlichen Ärztlichen Leiter übertragen wird, wird ein Wunsch der Bundesärztekammer erfüllt, der dazu führen wird, das es keine einheitliche Patientenversorgung in Deutschland geben wird. Die Belange der Rettungsdienstschulen wurden hingegen in vollem Umfang gewahrt. Die Schulen und die Personen, die dort arbeiten, werden nämlich übergeleitet. Die Schule, die vor dem 1. Januar 2014 eine Zulassung hatte, behält diese auch nach dem 1. Januar 2014. Ab dann können die Lehrkräfte, die zum großen Teil selbst Rettungsassistenten sind, Notfallsanitäter ausbilden, ohne eine zusätzliche staatliche Prüfung absolvieren zu müssen. Die Interessen der Ärzteschaft und die Interessen der Schulen sind also im vollen Umfang gewahrt worden, wohingegen die Interessen der Rettungsassistenten im Einsatzdienst keine Rolle spielen. Das ist keine Schlamperei, das ist Absicht.

RETTUNGSDIENST: Hand aufs Herz, Herr Groß, die Befürworter einer Überleitung für Rettungsassistenten mit Nachschulung und Prüfung argumentieren, dass das RettAss-Gesetz ja nur eine zweijährige Ausbildung vorgesehen habe und sich zudem in der präklinischen Notfallmedizin seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes sehr viel getan habe. Stimmt das nicht irgendwo?

Groß: Selbstverständlich hat sich in der präklinischen Notfallmedizin viel getan. Ich denke aber, dass die Rettungsassistenten bei dieser Entwicklung sehr gut mithalten konnten und dass der Rettungsdienst in Deutschland auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik arbeitet. Alle politisch Verantwortlichen loben in ihren Sonntagsreden gerne die hohe Qualität des deutschen Rettungsdienstes. Sie sprechen hierbei sogar oft von Weltspitze. Wie passt dazu, dass jetzt angeblich die Patienten vor denen geschützt werden müssen, die im Wesentlichen für diese hohe Qualität verantwortlich sind? Alle anderen Medizinalberufe, die heute eine dreijährige Ausbildung haben, hatten vorher eine zweijährige. Die Altenpflege lag zum Teil sogar darunter. Dies war jedoch für den Gesetzgeber kein Grund, die Berufsangehörigen mit zweijähriger Ausbildung nicht überzuleiten. Außerdem haben wir vor 25 Jahren schon eine dreijährige Ausbildung verlangt. Dies wurde 1989 durch die Bundesärztekammer und die Hilfsorganisationen, allen voran das Deutsche Rote Kreuz, bei der Verabschiedung des Rettungsassistentengesetzes verhindert. Daran erinnert sich nur heute kaum noch jemand. Jetzt sollen die, denen man eine dreijährige Berufsausbildung bis heute gegen ihren Willen verweigert hat, dafür bestraft werden, dass sie nur zwei Jahre ausgebildet wurden.

RETTUNGSDIENST: Als das RettAssG in Kraft trat, konnten sich viele Rettungssanitäter nur gegen den Nachweis entsprechender Einsatzpraxis ohne weitere Formalitäten oder Anforderungen zum Rettungsassistenten überleiten lassen. Es darf wohl durchaus davon ausgegangen werden, dass es unter diesen etliche gab, die von da an die Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Rettungsassistent“ führen durften, aber niemals die Kenntnisse dieser Ausbildung unter Beweis stellen mussten. Droht nicht bei einer einfachen Überleitung zum Notfallsanitäter eine ähnliche Gefahr?

Groß: Selbstverständlich gab es die. Es gab und gibt allerdings auch die, – und das ist die große Mehrheit – die täglich ihre Qualifikation unter Beweis stellen, indem sie ihre Patienten sehr gut versorgen. Nach meiner Auffassung und Erfahrung sind die Qualitätsunterschiede innerhalb des Berufsstandes der Rettungsassistenten nicht größer als in jeder anderen Berufsgruppe. Allerdings neigen besonders Rettungsassistenten dazu, den „dümmsten anzunehmenden Kollegen“ zum Maßstab aller Dinge zu machen und in der Diskussion als den Regelfall darzustellen. Die Überleitung der Rettungssanitäter zu Rettungsassistenten ist fast 25 Jahre her. Es waren aber doch die übergeleiteten Rettungsassistenten, die den Rettungsdienst in Deutschland auf das hohe Qualitätsniveau gebracht haben, das heute vorhanden ist. Selbst wenn die damals übergeleiteten Kollegen ein Problem darstellen würden - was sie aber nicht tun - dann dürften aus Altersgründen nicht mehr so viele von ihnen im Dienst sein, dass ihre Zahl für diese Frage relevant wäre.

RETTUNGSDIENST: Können Sie ein paar Aspekte zum Thema „einheitlicher Qualitätsstandard“ sagen? Wäre dieser nicht durch Nachschulung und Prüfung besser zu gewährleisten und wenn nein, warum nicht?

Groß: Von einem einheitlichen Qualitätsstandard kann in der Tat derzeit leider keine Rede sein. Dies liegt jedoch nicht an der Qualifikation der Rettungsassistenten. Insbesondere Kollegen aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz, die öfter im Nachbarland Nordrhein-Westfalen tätig werden, oder dortige Kliniken anfahren, können davon ein Lied singen. Es kommt vor, dass Kollegen, die ihre Patienten so versorgen, wie es in Rheinland-Pfalz Standard ist, in Nordrhein-Westfalen deswegen von dortigen Ärztlichen Leitern zurechtgewiesen werden und dass ihnen für den Wiederholungsfall sogar mit Konsequenzen gedroht wird.

Die Qualitätsunterschiede bestehen also nicht deshalb, weil die Rettungsassistenten nicht qualifiziert genug sind, um auf einem hohen einheitlichen Standard zu arbeiten, sondern weil sie durch unterschiedliche regionale Vorgaben, die in der Regel durch die örtlichen Ärztlichen Leiter erstellt und kontrolliert werden, aktiv und unter Androhung von Konsequenzen daran gehindert werden, eine umfangreichere Patientenversorgung vorzunehmen. Mir wurde berichtet, dass sich in Nordrhein-Westfalen ein Rettungsassistent, der einen venösen Zugang legt, dafür jedes Mal vor dem Ärztlichen Leiter verantworten muss. Dadurch, dass den örtlichen Ärztlichen Leitern jetzt auch noch die Festlegung von Versorgungsstandards auf örtlicher Ebene per Notfallsanitätergesetz übertragen wird, werden die Qualitätsunterschiede noch zunehmen. Der örtliche Ärztliche Leiter ist niemandem Rechenschaft schuldig und seine Entscheidungen können nicht überprüft werden. Gegen diese gesetzliche Regionalisierung von Behandlungsstandards nach Gutdünken einzelner Personen sind wir vor der Verabschiedung des Notfallsanitätergesetzes Sturm gelaufen - ohne Erfolg.

Die Verfassungsbeschwerde

Jedermann, so heißt es in einem Merkblatt des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG), kann Verfassungsbeschwerde einlegen, wenn er sich durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte verletzt glaubt. Das BVerfG kann daraufhin – vorausgesetzt, es gibt der Beschwerde statt –, die „Verfassungswidrigkeit eines Aktes der öffentlichen Gewalt“ feststellen, ein Gesetz für nichtig erklären oder eine verfassungswidrige Entscheidung aufheben und die Sache an ein zuständiges Gericht einer untergeordneten Instanz zurückverweisen. Andere Entscheidungen wie die Zuerkennung von Schadenersatz oder die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen sind nicht möglich.

Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich einzureichen und zu begründen. So müssen Verwaltungsakt oder Gesetz, die Gegenstand der Beschwerde sind, genau bezeichnet werden. Dies gilt auch für das Grundrecht, das in den Augen des Beschwerdeführers verletzt wurde, sowie für die einzelnen Punkte, die der Beschwerdeführer dabei im Visier hat. Hinzu kommt die Einhaltung der Beschwerdefrist, die einen Monat nach Inkrafttreten des beanstandeten Gesetzes beträgt. Grundsätzlich müssen vor der Anrufung des BVerfG alle anderen verfügbaren Rechtsmittel ausgeschöpft sein. Darüber hinaus bedarf die Verfassungsbeschwerde der Annahme zur Entscheidung. So ist sie anzunehmen, soweit ihr verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt oder wenn dem Beschwerdeführer ein besonders schwerer Nachteil entsteht, sollte die Entscheidung zur Sache verweigert werden. (POG)

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