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OLG Hamm beschränkt Beweislastumkehr nicht mehr nur auf rein medizinische Behandlungen

06.04.2023, 10:21 Uhr

Foto: J. Dommel/Johanniter

Erweiterte Amtshaftung des Rettungsdienstträgers möglich


Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sich in seinem Urteil vom 26. Oktober 2022 (Az. 11 U 127/21) mit den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs aufgrund einer möglichen Pflichtverletzung durch Rettungsdienstmitarbeitende auseinandergesetzt. In seiner Entscheidung wendet es die ursprünglich für die Arzthaftung entwickelten Grundsätze der Beweislastumkehr an und beschränkt diese nicht mehr auf rein medizinische Behandlungen.

Dem Beschluss liegt der Sachverhalt zugrunde, dass alarmierten Rettungskräften der direkte Weg zum im Wald gelegenen Unfallort durch eine Schranke versperrt wurde. Daraufhin beschlossen die Einsatzkräfte, zu Fuß zu gehen. Der Patient wurde nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand reanimiert und in ein Krankenhaus transportiert, wo er schließlich verstarb. Daraufhin verklagten die Erben den Rettungsdienstträger. Sie warfen den Rettungskräften vor, mit ihrer Entscheidung, den Weg zu Fuß zu nehmen, die medizinische Versorgung um zwei bis drei Minuten verzögert zu haben und damit den Tod des Patienten zu verantworten. Laut Auffassung der Kläger hätten die Einsatzkräfte ihre Berufspflicht in grober Weise verletzt, da sie sich gegen die Öffnung der Schranke entschieden haben. Sie wären verpflichtet gewesen, einen Schlüssel oder ein entsprechendes Werkzeug im RTW mitzuführen.

Aufgrund dieser groben Pflichtverstöße kämen für den vorliegenden Fall die für die Arzthaftung entwickelten Grundsätze für die Beweislastumkehr zur Anwendung. Folglich stünden nicht die Kläger in der Beweispflicht, dass die Pflichtverletzung der Rettungsdienstmitarbeitenden den Tod herbeigeführt hat, sondern der Rettungsdienstträger müsste beweisen, dass der Tod auch bei Öffnung der Schranke eingetreten wäre.

Das OLG Hamm hat einen Anspruch auf Schmerzensgeld der Kläger verneint, da den Rettungskräften keine groben Verstöße gegen ihre Berufs- oder Organisationspflichten nachgewiesen werden konnten, die eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung gerechtfertigt hätten. Grund hierfür sei, dass es keine gesetzliche Verpflichtung zur Ausstattung der Rettungsfahrzeuge nach den geltenden Vorschriften gebe und auch die Entscheidung, den Weg zum Unfallort zu Fuß zu gehen, stelle aufgrund der Umstände keinen Verstoß dar.

Allerdings hält das Gericht in seiner Entscheidung fest, dass die Grundsätze der Beweislastumkehr bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern nicht mehr auf rein medizinische Behandlungsfehler des Rettungsdienstpersonals beschränkt sein sollen, d.h. auch Pflichtverletzungen, die den Transport oder dessen Vorbereitung betreffen wären künftig vom Anwendungsbereich der Beweislastumkehr erfasst. Demzufolge müsste der Rettungsdienstträger bei Amtshaftungsfällen, in denen grobe Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, beweisen, dass der jeweilige Schaden auch ohne die behauptete Pflichtverletzung eingetreten wäre. Gerade in Fällen mit zeitlicher Verzögerung dürfte sich die Beweiserbringung schwierig gestalten.

Derzeit ist das Verfahren beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Sollte diese Entscheidung vom BGH bestätigt werden, kämen die Grundsätze zur Beweislastumkehr für den gesamten Rettungsdiensteinsatz zur Anwendung, also auch für jegliche operative und organisatorische Komponente, und nicht bloß für die medizinischen Handlungen.

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