S+K Verlag
Der einzige Fachverlag für
Notfallmedizin in Deutschland.
Bücher, Zeitschriften und Nachrichten
rund um das Thema Rettungsdienst.

Opiatgabe durch Notfallsanitäter: Wo bleibt die Rechtssicherheit?

15.03.2016, 16:14 Uhr

Dürfen Notfallsanitäter Opiate geben? Die Frage sorgt weiterhin für Diskussionen. (Foto: P. Böhmer)

Artikel und Kommentar aus RETTUNGSDIENST 3/2016

 

Am 27. August 2014 hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf eine Anfrage der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Ina Scharrenbach (ebenfalls CDU) zum Thema Opiat­gabe durch den Rettungsdienst geantwortet. Darin heißt es, dass die Aufnahme von Opiaten in den Medikamentenkatalog „Invasive Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter“, der vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wurde, nicht zu beanstanden ist. RETTUNGSDIENST berichtete über den Inhalt des Schreibens am 10. September 2015 online und in der Oktober-2015-Ausgabe. Anschließend baten wir die Beteiligten um weitere Konkretisierungen ihrer Positionen. Eine Chronologie.

 

Gröhe begründet in dem Schreiben seine Auffassung mit der Kommentierung zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG), in der aus der Formulierung „im Rahmen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Behandlung“ in § 13 BtMG die Möglichkeit hergeleitet wird, dass dies auch durch Hilfskräfte des Arztes oder Pflegepersonen erfolgen kann, die auf ärztliche Weisung handeln. Im Bereich des Rettungsdienstes sei davon auszugehen, so Gröhe, „dass die Notfallsanitäter beim Verabreichen der Opiate auf ärztliche Weisung im Sinne des § 13 BtMG handeln“, zumal in dem zugrunde liegenden Medikamentenkatalog bestimmte Medikamente bestimmten Erkrankungs­bildern zugeordnet werden. Zudem diene die Opiatgabe einer zeitnahen Versorgung von Notfallpatienten mit Schmerzmitteln.

16. September 2015

RETTUNGSDIENST bat daraufhin am 16. September 2015 den Bundesgesundheitsminister um die schriftliche Beantwortung der folgenden Fragen:

  1. Dürfen häufig vor einem Notarzt an der Einsatzstelle eintreffende (selbstverständlich entsprechend geschulte) Notfallsanitäter ohne ärztliche Verordnung im Einzelfall (aber mit allgemeiner Freigabe durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst) ein Opiat zur Analgesie applizieren?
  2. Wenn Frage 1 mit „Nein“ beantwortet wird: Genügt eine telefonische ärztliche Anordnung im Einzelfall?
  3. Macht es bei der Beantwortung der beiden Vorfragen einen Unterschied, ob Notfallsanitäter oder (selbstverständlich entsprechend geschulte) Rettungsassistenten bzw. Rettungssanitäter tätig werden?

In der Anfrage wiesen wir darauf hin, dass nach Ansicht des RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglieds Ralf Tries die Opiatgabe nach derzeitiger Gesetzeslage unter einem eindeutigen Arztvorbehalt steht. Das bedeutet, es muss einen Arzt geben, der im konkreten Behandlungsfall die Verantwortung für eine BtM-Gabe übernimmt und das auch dokumentiert.

In Schleswig-Holstein versucht man dies inzwischen – wie an wenigen anderen Orten schon länger – über eine „Absegnung“ am Telefon. Ein aus Sicht von Tries medizinisch und juristisch für alle Beteiligte äußerst gewagt erscheinendes Unterfangen. Eine eindeutige Positionierung des Bundesgesundheitsministers ist daher – auch weiterhin – wünschenswert.

22. September 2015

Aus der Pressestelle des BMG erhielten wir am 22. September 2015 die folgende Antwort: „Ihre Fragen beziehen sich auf das Verabreichen von Betäubungsmitteln durch Notfallsanitäter. Sie betreffen damit die Berufsausübung, für die die Bundesländer zuständig sind. Bitte wenden Sie sich an die dort zuständigen Behörden.“

Unsere Antwort am folgenden Tag: „Nach Einschätzung von Herrn Tries drehen wir uns mit dieser Antwort weiter im Kreis und die politisch Verantwortlichen für das Notfallsanitätergesetz und das Betäubungsmittelgesetz scheinen nicht in der Lage und/oder Willens zu sein, einfache, aber wichtige Fragen zu beantworten. Bleibt nur zu hoffen, dass diese mal wieder schmerzhafte Erfahrung den vielen Schmerzpatienten – und es kann jeden treffen – nicht zum Nachteil gereicht.“ Wir kündigten an, dass wir den bisherigen Schriftverkehr veröffentlichen und der nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Ina Scharrenbach mit der Bitte um Stellungnahme zuleiten würden. Für Stellungnahmen des BMG in dieser Angelegenheit stünden wir selbstverständlich weiterhin gerne zur Verfügung.

Frau Scharrenbach haben wir am selben Tag ebenfalls um eine Stellungnahme gebeten. Innerhalb weniger Tage signalisierte sie ihre grundsätzliche Gesprächsbereitschaft.

22. Dezember 2015

Am 22. Dezember 2015 reicht Frau Scharrenbach eine „Kleine Anfrage“ bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu dem eingangs erwähnten MGEPA-Erlass und dem darin enthaltenen Medikamentenkatalog ein (Drucksache 16/10581), die innerhalb von vier Wochen beantwortet werden muss. Sie schreibt: „Dieser enthält im Rahmen der Aufzählung auch Opiate, die dem § 13 BtMG unterliegen und nur nach ärztlicher Weisung verabreicht werden dürfen. Diese ‚ärztliche Weisung‘ schließt meines Erachtens das ‚eigenverantwortliche‘ Handeln eines Notfallsanitäters nach geltender Rechtslage aus, mithin: Auf Basis des Medikamentenkataloges dürfte ein Notfallsanitäter Opiate im Notfalleinsatz verabreichen – macht er dies allerdings ‚eigenverantwortlich‘ (und ohne Weisung eines Arztes), verstößt er gegen das BtMG. Daraus resultierende mögliche Rechtsfolgen für den Notfallsanitäter sind absehbar.“

Um Rechtsklarheit in Bezug auf das Verabreichen von Opiaten durch Notfallsanitäter in Nordrhein-Westfalen herzustellen, stellt sie der Landesregierung die von uns gestellten Fragen mit einer Ergänzung: Beabsichtigt die Landesregierung klarstellende Hinweise an die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen zum Verabreichen von Opiaten durch Notfallsanitäter zu veröffentlichen?

2. Februar 2016

Die Antworten werden am 2. Februar 2016 veröffentlicht (Drucksache 16/10920). Darin verweist auch das MGEPA auf die Differenzierung zwischen Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und den Ausführungsbestimmungen zur Notfallsanitäter-Ausbildung. Die Letztgenannten würden keine pauschale Aussage zur Verabreichung solcher Stoffe in der Praxis und erst recht keine Ausnahmetatbestände zum BtMG enthalten.

Dies schließe aber nicht aus, dass Notfallsanitäter im konkreten Einzelfall berechtigt – unter Umständen wegen einer Garantenstellung auch verpflichtet – sein können, sogenannte „Notmaßnahmen“ bei Abwesenheit eines Arztes zu ergreifen, die unter Umständen auch die Gabe von Opiaten erfordern können. Die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten aus dem Jahr 1992 müssten noch an das neue Berufsbild Notfallsanitäter angepasst werden.

Die Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst seien in den Ausführungsbestimmungen gebeten, für die Anwendung von Maßnahmen und Medikamenten in der rettungsdienstlichen Praxis landeseinheitliche Arbeitsanweisungen zu entwickeln und diese dem MGEPA vorzulegen. Es sei erklärtes Ziel der Landesregierung, eine heterogene Auslegung des § 4 NotSanG durch die ÄLRD zu vermeiden. Nach Vorlage der Standard Operating Procedures (SOPs) durch die ÄLRD will das Ministerium prüfen, ob eine Veröffentlichung von klarstellenden Hinweisen erforderlich ist.

Auch einer Opiatgabe durch Notfallsanitäter nach telefonischer ärztlicher Anordnung erteilt das MGEPA eine Absage. Die Diagnosestellung sei eine heilberufliche Tätigkeit und müsse von ärztlichem Personal vorgenommen werden. Sie setze voraus, dass sich die Ärzte im Rahmen der Behandlung einen unmittelbaren Eindruck – auch durch Sichtkontakt – von dem betroffenen Patienten verschaffen können. Dies dürfe bei einem telefonischen Kontakt zum Notfallsanitäter nicht möglich sein. Dann folgt die Ausnahme: „Wenn allerdings eine Notfallsanitäterin oder ein Notfallsanitäter bereits im Rahmen einer im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände vorliegenden Notkompetenz ausnahmsweise berechtigt und möglicherweise auch zum Handeln verpflichtet sein kann, ohne die vorherige Weisung einer Ärztin oder eines Arztes tätig zu werden, muss dies erst recht nach telefonischer Weisung in einer solchen Ausnahmesituation gelten. Auch hier muss jedoch das Zuwarten auf das Erscheinen der Ärztin oder des Arztes unter Berücksichtigung des Zustandes der bzw. des Betroffenen ausgeschlossen sein, sind also die Umstände des Einzelfalls entscheidend.“

 

Rettungsdienst verdient Handlungssicherheit

 


Kommentar von Ralf Tries, Oberstaatsanwalt, Rettungsassistent und RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied

Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir: „Sei froh und lächle, es hätte schlimmer kommen können!“, und ich war froh und lächelte, und es kam schlimmer. Das ist mein Empfinden auf die Antworten politisch Verantwortlicher auf Bundes- und Landes­ebene zur Opiatgabe von Notfallsanitätern. Schlimm genug, dass der Bundesgesundheitsminister unsere Fragen unbeantwortet ließ, obwohl Notfallsanitäter- und Betäubungsmittelgesetz Bundesgesetze sind. Offensichtlich haben unsere Fragestellungen bei der engagierten Landtagsabgeordneten Ina Scharrenbach das Problembewusstsein gefördert und zu einer entsprechenden Kleinen Anfrage an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen geführt.

Folgender Satz in deren Antwort offenbart das noch Schlimmere: „Zum medizinischen Standard und den Sorgfaltspflichten bei Maßnahmen, die im Rahmen der Notkompetenz von Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten durchgeführt worden sind, existieren Richtlinien der Bundesärztekammer aus dem Jahr 1992, welche noch an das neue Berufsbild der Notfallsanitäterin/des Notfallsanitäters anzupassen sind.“

Da drängt sich die nächste Kleine Anfrage mit folgenden Fragen auf:

  1. Ist die Bundesärztekammer die zuständige Stelle zur Bestimmung des medizinischen Standards und der Sorgfaltspflichten bei Maßnahmen von Notfallsanitätern?
  2. Ist der Landesregierung der Unterschied zwischen einer bloßen Stellungnahme einer Standesorganisation und einer Richtlinie bekannt?

Es ist schlimm, wenn wesentliche Begrifflichkeiten von Experten aus dem Fachministerium falsch verwendet werden. Richtlinien sind von gesetzlich ermächtigten Institutionen veröffentlichte Regeln des Handelns und Unterlassens, die – wenn überhaupt – einen äußerst geringen Ermessensspielraum einräumen (z.B. Krankentransport-Richtlinie). Stellungnahmen oder Empfehlungen sind von noch geringerer Aussagekraft als Leitlinien und stellen bloße Meinungskundgaben von mehr oder weniger dazu berufenen Personen oder Institutionen dar. Dazu gehört auch die Stellungnahme der Bundesärztekammer zur Notkompetenz von Rettungsassistenten und zur Delegation ärztlicher Leistungen im Rettungsdienst.

Es ist weiterhin schlimm, wenn die Landesregierung die Behauptung aufstellt, dass in konkreten Einzelfällen die Berechtigung – unter Umständen wegen einer Garantenstellung auch eine Verpflichtung – zur eigenverantwortlichen Opiatgabe eines Notfallsanitäters bestehen kann. Hier drängen sich folgende ergänzende Fragen an die Landesregierung auf:

  1. Kann etwas, was nach dem BtMG verboten ist, Inhalt einer Garantenstellung sein und deshalb – entgegen dem Verbot – verlangt werden?
  2. Wie kann etwas beherrscht werden, was einem in der Durchführung, somit in der praktischen Übung verboten ist?

In der Neuauflage meines Buches „Strafrechtliche Probleme im Rettungsdienst“ habe ich ausführlich zu sämtlichen Fragestellungen Stellung genommen. Ich würde mich freuen, wenn Vertreter der Bundes- und Landesregierung mit mir für Rechtssicherheit im Rettungsdienst eintreten. Rettungsdienst verdient Handlungssicherheit. Auch Politiker können jederzeit und überall zu Notfallpatienten werden.

Bücher zum Thema:

Strafrechtliche Probleme im Rettungsdienst

21.90(incl. UST, exkl. Versandkosten) R. Tries 581B5 978-3-96461-058-4

  • 5., überarbeitete und ergänzte Auflage 2022
  • 204 Seiten
  • 25 OLAF-Cartoons von Ralf Schnelle
  • durchgehend farbig, Softcover

Stumpf + Kossendey Verlag, 2024
KontaktRSS Datenschutz Impressum