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Warum sterben Fußballprofis am plötzlichen Herztod?

14.06.2021, 10:04 Uhr

Foto: R. Penno

Artikel aus RETTUNGSDIENST 1/2018


Im August 2007 starb der 22-jährige spanische Fußballprofi Antonio Puerta. Er war während des Spiels seines Vereins FC Sevilla gegen den FC Getafe auf dem Feld kollabiert und erlitt in der Folge mehrere Kreislaufstillstände. Drei Tage später musste der Kampf um sein Leben, allen Reanimationsbemühungen zum Trotz, aufgegeben werden. Auch Marc-Vivien Foé starb in einem Fußballstadion. Der ansonsten für Manchester City in der Premier League auflaufende kamerunische Nationalspieler kollabierte während eines Confederation-Cup-Spiels seines Landes gegen Kolumbien im Juni 2003. Foé war 28 Jahre alt. Das Schicksal eines plötzlichen Herztodes teilen diese beiden Leistungssportler mit jährlich 350.000 – 700.000 Menschen in Europa. Aber sind die Ursachen für das Ereignis vergleichbar?

Wenn ein Patient über Beschwerden klagt und Symptome zeigt, interessieren sich die Akteure der Notfallmedizin in erster Linie für eine möglichst schnelle Diagnose. Denn die Klärung der Frage „Was hat der Patient?“ bildet die primäre Grundlage für Therapieentscheidungen. Notfallmedizinisch betrachtet ist das meistens auch ausreichend. Längerfristig betrachtet allerdings muss das Problem nachhaltiger bekämpft werden. Denn nur, wenn man weiß, warum ein Patient eine bestimmte Krankheit entwickelt hat, können deren Ursachen beseitigt werden und Präventivmaßnahmen zur Rezidivvermeidung erarbeitet werden. Mit den Ursachen für die Entstehung einer Krankheit beschäftigt sich die Ätiologie. Und natürlich sind Antonio Puerta und Marc-Vivien Foé nicht an den Folgen typischer atherosklerotischer Herzkranzgefäßveränderungen mit koronarer Herzkrankheit (KHK), Plaqueruptur, Thrombusbildung, Herz­infarkt und daraus resultierendem Kammerflimmern gestorben wie die meisten anderen Menschen mit plötzlichem Herztod. Sie litten unter strukturellen Herzerkrankungen, die unter Belastung ihr fatales arrhythmogenes Potenzial entfaltet haben. Was sind das für Erkrankungen, die bei jungen, vermeintlich überdurchschnittlich gesunden Menschen einen plötzlichen Herztod hervorrufen können? Und kann das diesbezügliche Risiko durch geeignete Screening-Maßnahmen vorab eingeschätzt werden?

Bei jüngeren Athleten liegt selten eine KHK vor, dafür gelingt aber oftmals der Nachweis einer Herzmuskelerkrankung.

Woran sterben junge Sportler?

Die Bezeichnung „plötzlicher Herztod beim Sport“ wird verwendet, wenn der Kreislaufstillstand während sportlicher Belastung oder bis zu einer Stunde danach auftritt. Das Sudden-Cardiac-Death-Register der Universität des Saarlandes (1) gibt die Häufigkeit sportassoziierter Herztode bei jungen Menschen mit 0,5 – 3 Fällen pro 100.000 Personen und pro Jahr an. Ab dem 35 Lebensjahr steigt die Häufigkeit an. Das mag daran liegen, dass mit steigendem Alter die KHK eine gewichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung zu spielen beginnt: Bei Betroffenen > 35 Jahren wird die weit überwiegende Mehrheit der Fälle durch eine KHK ausgelöst (2). In 90% der Fälle sind Männer betroffen. Meistens besteht initial eine ventrikuläre Tachykardie, die in ein Kammerflimmern degeneriert (3). Bei jüngeren Athleten liegt selten eine KHK vor, dafür gelingt aber oftmals der Nachweis einer Herzmuskelerkrankung. Corrado et al. (2) führen an, dass in über einem Drittel der Todesfälle eine hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) bestand. Bei der HCM kommt es zu einer asymmetrischen Verdickung der Muskulatur der linken Herzkammer mit dem Resultat einer diastolischen Funktionsstörung mit abnehmender Dehnbarkeit der Kammermuskulatur. Ein Teil der Patienten leidet begleitend unter einer linksventrikulären Ausflussstörung (hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie) (4). Es besteht – insbesondere unter körperlicher Belastung – ein recht hohes Risiko für lebensbedrohliche ventrikuläre Arrhythmien, die wohl auch den Kameruner Fußballprofi Marc-Vivien Foé ereilt haben.

In Venetien (Italien) begründet die ansonsten seltene, aber aufgrund genetischer Prädisposition regional gehäuft auftretende arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC) ein Viertel (orts­unabhängig nur 4%) der plötzlichen Herztode beim Sport. Diese Herzmuskelerkrankung führt zu einem Umbau von Rechtsherzmuskulatur zu Binde- und Fettgewebe. Damit verändern sich auch wesentliche Eigenschaften der Herzwände: Der rechte Ventrikel bildet Aus­sackungen, erweitert sich und wird zum Ursprungsort gefährlicher Herzrhythmusstörungen, insbesondere unter körperlicher Belastung. Eine AVRC wurde auch bei dem Fußballer Antonio Puerta aus Sevilla als Todes­ursache nachgewiesen.

Außerhalb der Regionen mit gehäuft vorkommender ARVC sind angeborene Koronaranomalien die zweithäufigste Ursache für den sportassoziierten Herztod (3). Wenn beispielsweise die linke Hauptstammarterie aus dem rechten Sinus Valsalva hervorgeht und zwischen Aorta und Lungenarterie verläuft, kann es unter körperlicher Belastung zu einer Kompression der linken Herzkranzarterie kommen. Die so entstehende Minderdurchblutung des Herzens wirkt arrhythmogen.

Wenn Symptome wie Fieber, allgemeine Schwäche und ein mehr oder minder ausgeprägtes Krankheitsgefühl vom unter Erfolgs- und Leistungsdruck stehenden Sportler nicht ernstgenommen werden, droht die „Rhythmuskatastrophe“.

Im ätiologischen Häufigkeitsranking der Ur­sachen für einen plötzlichen Herztod beim Sport folgt die Myokarditis – eine meistens virale, seltener bakterielle entzündliche Herzmuskelerkrankung, die eine komplizierende Begleit- oder Folgeerscheinung anderer infektiöser Erkrankungen sein kann. Wenn Symptome wie Fieber, allgemeine Schwäche und ein mehr oder minder ausgeprägtes Krankheitsgefühl vom unter Erfolgs- und Leistungsdruck stehenden Sportler nicht ernstgenommen werden und die eigentlich erforderliche Ruhe nicht eingehalten wird, droht die „Rhythmuskatastrophe“.

Als weitere Ursachen mit geringerer Inzidenz werden z.B. Aortenrupturen, dilatative Kardiomyopathien, Herzklappenerkrankungen und angeborene Herzfehler aufgeführt. Zusätzlich können primär elektrische Herzerkrankungen, wie z.B. das Long QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom, das WPW-Syndrom oder die katecholaminerge polymorphe Kammer­tachykardie (CPVT), eine tödliche Herzrhythmusstörung bedingen (2, 3, 5). Als traumatische Genese eines plötzlichen Herztodes kommt eine Commotio cordis in Betracht, die laut Maron et al. (5) in immerhin 3% der Todesfälle unter jungen Athleten als todes­ursächlich ausgemacht und bei der durch eine stumpfe Gewalteinwirkung auf den Thorax innerhalb der vulnerablen Phase der elektrischen Herzaktivität z.B. ein Kammerflimmern ausgelöst werden kann. Dass Dopingmittel schädigende Auswirkungen auf das Herz haben, ist unstrittig – in welcher Größenordnung sie zu plötzlichen Herztodesfällen beitragen, ist unklar.

Von besonderem anamnestischen Interesse sind frühe Herztodesfälle in der Familie, denn einige der angeführten Erkrankungen beruhen auf genetischen Besonderheiten.


Kann das Risiko für einen plötzlichen Herztod beim Sport vorab eingeschätzt werden?

Aus 100.000 Sporttreibenden die 0,5 – 3 (s.o.) herauszufiltern, die dann tatsächlich einen Herztod erleiden, klingt wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch in vielen Fällen gehen der Katastrophe tatsächlich Warnsymptome voran, die ernstgenommen werden müssen und nach einer medizinischen Abklärung verlangen. Dazu zählen Herzrhythmusstörungen, inklusive Tachykardien in Ruhe oder verzögerte Frequenzabfälle in der Erholungsphase (3). Auch Schwindel, Synkopen, Dyspnoe und thorakale Schmerzen sollten eine eingehendere Untersuchung nach sich ziehen. Von besonderem anam­nestischen Interesse sind frühe Herztodesfälle in der Familie, denn einige der oben angeführten Erkrankungen beruhen auf genetischen Besonderheiten, z.B. die hypertrophe Kardiomyopathie, die arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, das Long-QT-Syndrom und das Brugada-Syndrom. Auch ein routinemäßig angefertigtes 12-Kanal-EKG würde dabei helfen, latente Bedingungen für einen späteren Herztod aufzudecken (2). Denn typische EKG-Veränderungen könnten frühzeitig den Verdacht auf HCM, ARVC, dilatative Kardiomyopathie, WPW-Syndrom, Long-QT-Syndrom oder Brugada-Syndrom lenken. In Italien konnte jedenfalls ein eindeutiger Beweis für den Nutzen eines EKG-Screenings erbracht werden (2): Gab es vor der Einführung des Screenings noch 3,6 Todesfälle pro 100.000 Personen/Jahr, waren es in der späten Screening-Periode nur noch 0,4. Wird beispielsweise eine HCM oder eine ARVC nach­gewiesen, sollte kein Wettkampfsport betrieben werden. Nach einer Myokarditis muss eine ausreichend lange, mehrere Monate währende Erholungszeit eingehalten werden, bis der Leistungssport wieder aufgenommen wird. Bei angeborenen Ionenkanalerkrankungen wie dem Brugada-Syndrom sollte auf Leistungssport verzichtet werden (1).

In der ersten und zweiten Fußballbundesliga werden seit 1999 verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt, die neben allgemeinmedizinischen und orthopädischen Fragestellungen auch ein Herz-Kreislauf-Screening beinhalten. Die Profis erhalten ein Ruhe- und ein Belastungs-EKG sowie eine Echokardiografie. Zudem werden Laboruntersuchungen vorgenommen, die auch Parameter für Risikofaktoren abdecken (6).

Zusammenfassung

Der plötzliche Herztod beim Sport ist ein seltenes, aber dennoch relevantes und dramatisches Ereignis. Während das Geschehen bei Menschen > 35 Jahren meistens in der koronaren Herzkrankheit begründet liegt, leiden jüngere Betroffene häufig an einer Kardiomyopathie, die unter Belastungsbedingungen arrhythmogen wirkt. Diese Erkrankungen durch geeignete Screening-Maßnahmen aufzudecken, ist eine wichtige Aufgabe der Sportmedizin. Profis sind hierzulande üblicherweise sehr gut voruntersucht, bei Amateursportlern hingegen lauert die Gefahr oftmals im Verborgenen. Der Tod droht nicht nur unter Flutlicht im Bundesligastadion, sondern auch auf dem Bolzplatz in der Nachbarschaft. Grund genug für jeden einzelnen ambitionierten Sportler, das persönliche Risiko überprüfen zu lassen. Und Grund genug für den Rettungsdienst, belastungsassoziierte, vielleicht zunächst unspezifisch erscheinende Vorfälle wie Synkopen oder bislang noch nie aufgetretene Palpitationen sehr ernst zu nehmen und einer diagnostischen Abklärung zuzuführen.

Literatur:

  1. SCD-Deutschland. Sudden Cardiac Death. (Register zur Erfassung plötzlicher Todesfälle sowie überlebter Herztodesfälle beim Sport und deren Ursachen) Institut für Sport- und Präventivmedizin, Universität des Saarlandes. http://sportmedizin-saarbruecken.de/de/forschung/sudden-cardiac-death-scd-register-deutschland (Abruf: 29. November 2017)
  2. Corrado D et al. (2011) Strategies for the Prevention of Sudden Cardiac Death During Sports. Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 18 (2): 197-208
  3. Kindermann W (2005) Plötzlicher Herztod beim Sport. Dt. Zeitschrift für Sportmedizin 56 (4): 106-107
  4. Herold G (Hrsg.) (2012) Innere Medizin 2013. Köln
  5. Maron BJ et al. (2009) Sudden Deaths in Young Competitive Athletes: Analysis of 1.866 Deaths in the United States, 1980 – 2006. Circulation 119 (8): 1085-1092. DOI: https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.108.804617
  6. Kindermann W (2006) Gesundheit und Leistung im Profifußball. Dt. Ärztebl 103 (23): A1605-A1610. www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=51671 (Abruf: 1. Dezember 2017)

 

Hendrik Sudowe
ist Dipl.-Gesundheitslehrer, Notfallsanitäter und RETTUNGSDIENST-Redaktionsmitglied

Dieser Artikel erschien in der RETTUNGSDIENST 1/2018.

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