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Was dürfen Bayerns Notfallsanitäter?

02.09.2021, 11:06 Uhr

Foto: R. Schnelle

Umfrage zu Kompetenzen und deren Auswirkungen


RETTUNGSDIENST startet heute eine Umfrage, die sich ausschließlich an Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter richtet, die ihren Arbeitsplatz in Bayern haben. Angesichts zahlreicher Diskussionen in sozialen Medien und berufspolitischen Foren sowie kritischen Presseberichten bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen ÄLRD und NotSan in Bayern soll diese Umfrage ein aktuelles Meinungsbild unter den im Freistaat tätigen NotSan einholen. Ausschlaggebend für die Konflikte scheinen immer wieder Medikamentenanwendungen zu sein. Welche Auswirkungen haben diesbezügliche Streitfälle auf Arbeitsklima, Bereitschaft zur Anwendung heilkundlicher/invasiver Maßnahmen, Zufriedenheit im Beruf und die gefühlte Rechtssicherheit der in Bayern tätigen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter?

Die ÄLRD-Strukturen in Bayern sind von einem vergleichsweise sehr hohen Organisationsgrad (ÄLRD für jeden RD-Bereich, acht Bezirksbeauftragte (ÄBRD) in jedem RD-Bezirk, ein Landesbeauftragter (ÄLBRD)) geprägt. Dabei wird viel Wert auf landeseinheitliche Entschlüsse gelegt. So werden im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2c des NotSanG (im Folgenden 2c-Maßnahme) in ganz Bayern drei heilkundliche Maßnahmen an NotSan delegiert und im Fall der Anwendung über ein elektronisches Protokollwesen an den ÄLRD zurückgemeldet:

  1. Glukose 10% (10 g i.v. oder bei erhaltener Schluckfähigkeit 20 g peroral bei Erwachsenen mit Hypoglykämie)
  2. 7,5 mg Piritramid als Kurzinfusion i.v. bei Erwachsenen mit Extremitätenverletzung oder Verbrennung/Verbrühung
  3. max. 500 ml Vollelektrolytlösung bei schwerverletzten oder septischen Erwachsenen.

Für diese Maßnahmen existieren fünf 2c-Algorithmen, die u.a. die Anlage eines i.v. Zugangs und die Flüssigkeitsgabe bei verletzten Personen, Extremitätenverletzungen, Verbrennungen/Verbrühungen und Sepsis sowie die Piritramidgabe bei isolierten Extremitätverletzungen oder Verbrennungen/Verbrühungen und schließlich die Glukosegabe bei Hypoglykämien regeln.

Zur Vermeidung einer Verschlechterung der Situation der Patienten bei einem lebensbedrohlichen Zustand oder wenn wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind, können Notfallsanitäter darüber hinaus heilkundliche Maßnahmen in individueller Verantwortung unter Berufung auf § 4 Abs. 2 Nr. 1c des NotSanG ergreifen. Für diese Maßnahmen werden ÄLRD-Delegationen zwar ausgeschlossen – es existieren allerdings landesweit einheitliche Empfehlungen dazu, die in Medikamente und Maßnahmen unterteilt werden (s. Tabelle).

Als das am häufigsten zitierte Referenzwerk zur fachlichen Abstimmung der invasiven Maßnahmen im Rahmen der Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes gilt der Pyramidenprozess, dessen Ergebnisse im Jahr 2014 vorgelegt wurden. Zwischen den 2c-Delegationen sowie den 1c-Empfehlungen der bayerischen ÄLRD (Stand 4/2018) und den Maßnahmen/Medikamenten aus dem Pyramidenprozesskatalog (2014) ergeben sich deutliche Diskrepanzen, für die es neben veränderten Leitlinienempfehlungen bzw. rein medizinischen Begründungen im Wandel der Zeit (vier Jahre) selbstverständlich weitere Erklärungen rechtlicher, fachlicher oder didaktischer Natur geben kann. Rein numerisch sind in Bayern 13 Wirkstoffe der Medikamentenliste des Pyramidenprozesses nicht in die 1c-Delegation bzw. 2c-Empfehlung übernommen worden (Antiemetika, ASS, Butylscopolamin, Furosemid, H-Blocker, Heparin, Ibuorpfen/Paracetamol, Ketamin, Lidocain, Metamizol, Nitrate, Nitrendipin). Vier weitere Wirkstoffe sind in den bayerischen 1c-Empfehlungen aufgeführt, aber um bestimmte Indikationen gekürzt worden (Adrenalin bei Bradykardie, Amiodaron bei VT, Atropin bei Alkylphosphatintox., Prednison bei Asthma). Dafür tauchen drei nicht im Pyramidenprozess aufgeführte Medikamente in den 1c-Empfehlungen auf (Flumazenil, Magnesium, Sauerstoff), und bei zwei Wirkstoffen listen die 1c-Empfehlungen eine zusätzliche Indikation auf (Adrenalin bei Hypotension/Schock und Prednison bei Pseudokrupp). Im Vergleich zum Maßnahmenkatalog des Pyramidenprozesses fehlen in der bayerischen 1c-Empfehlung zwei Interventionen – nämlich CPAP und die externe Schrittmacheranlage. Dafür wird eine Maskenbeatmung aufgeführt, die im Pyramidenprozess keine explizite Erwähnung findet. Die eigenverantwortliche Anwendung einer 1c-Maßnahme oder eines 1c-Medikamentes erfordern laut den bayerischen ÄLRD immer eine zwingende Notarztalarmierung.

Vor diesem Fakten-Hintergrund der Delegation (2c) und Empfehlung (1c) von heilkundlichen Maßnahmen möchten wir sie bitten, an unserer Umfrage teilzunehmen, um die praktischen Auswirkungen dieser Vorgaben zu ermitteln. Vielen Dank im Voraus!

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