Mitarbeiter in der Akut- und Notfallmedizin sind in ihrem Arbeitsalltag vielfältigen psychischen Stressoren ausgesetzt. Hieraus resultiert die Gefahr von chronischer Überlastung, depressiven Störungen oder auch anderweitigen negativen psychischen Folgen. Ob es allerdings tatsächlich zu solchen negativen Auswirkungen kommt, ist individuell verschieden und von zahlreichen Faktoren abhängig. Dazu gehören sogenannte Moderatorvariablen, die positive wie negative Einflüsse auf die Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung von potenziell traumatisierenden Erfahrungen haben können. Ein Beispiel aus dem Alltag soll das Problempotenzial verdeutlichen.
Fallbeispiel
Im Rahmen einer regulären Schicht werden ein NEF und ein RTW zu einem Notfalleinsatz unter einer Autobahnbrücke alarmiert. Unter der Brücke quert eine S-Bahn. Der Fahrer der Bahn ist sich an diesem dunklen, kalten Novemberabend nicht sicher, ob er einen Menschen überfahren hat. Er habe lediglich einen Knall vernommen und vom nächsten Bahnhof die Polizei alarmiert. Diese wiederum alarmierte den Rettungsdienst, nachdem Kleidungsteile an der Bahnstrecke gefunden wurden. Bei Eintreffen der Rettungsmittel wird das Rettungsdienst-Team von einem jungen Polizisten in Empfang genommen. Voller Elan geht er die Bahnstrecke ab, leuchtet punktuell mit der Taschenlampe auf mehrere Meter entlang der Bahnschiene verteilte menschliche Körperreste und bleibt an der Stelle stehen, wo der größte Teil des Restkörpers in den Schienen verblieben ist. Der Notarzt und das RTW-Team entschließen sich zur Vermeidung eigener Traumatisierung den Körper nicht genauer zu betrachten, nachdem der Tod zweifelsfrei feststeht.
Als der Notarzt eine unklare Identität der Leiche bescheinigen will, wird ihm der Personalausweis des Verstorbenen gereicht. Nun erhält dieser nicht nur einen Namen, sondern auch eine Identität. Nachdem die Todesbescheinigung ausgestellt wurde, verlässt das Team, nach Rücksprache mit der Polizei, den Einsatzort. Etwa eine Stunde später erfolgt eine Alarmierung des gleichen Teams zu einer Person mit dem Familiennamen des Getöteten, die Einsatzmeldung lautet: drohender Suizid. Bei Eintreffen an der Einsatzstelle berichtet der Notarzt der neuen Polizeistreife von dem Suizid an der Bahnstrecke. Die Tür
wird sofort mit Gewalt geöffnet, Polizei und Rettungsdienst betreten die Wohnung: Es handelt sich um die Wohnung des Verstorbenen. Da sich in der Wohnung Bilder des Toten aus verschiedenen Lebensbereichen befinden, kann dieser eindeutig vom Notarzt wiedererkannt werden. Der Tote erhält nun für den Notarzt nicht nur ein Gesicht, sondern er taucht anteilig in sein Leben ein. Wenngleich er vordergründig unbeeindruckt zu sein scheint, entwickelt der Notarzt in der Folge Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie eine depressive Verstimmung.
Tab. 1: Auswahl an Moderatorvariablen mit Einfluss auf die Verarbeitung potenziell traumatischer Erlebnisse (6): |
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Ausgangssituation: Psychische Belastungen von Einsatzkräften
Wie das Beispiel zeigt, kann es sehr schnell und unerwartet zur Überschreitung von individuellen Verarbeitungsgrenzen kommen, wenngleich die Berufsgruppe (prä-)klinischer Einsatzkräfte als eher hoch resilient, d.h. widerstandsfähig gegen psychische Belastungen, gilt (1). Auf der anderen Seite zählt sie durch die sehr viel häufigeren Konfrontationen mit Extremerlebnissen zu einer Hochrisikogruppe (2).
Wie aber geschieht es nun, dass Menschen in psychische Ausnahmesituationen gelangen? Hierzu gibt es eine Vielzahl von Überlegungen, die verschiedene Faktoren berücksichtigen. So ist z.B. bekannt, dass Notfälle, in denen Einsatzkräfte an die Grenzen ihres erlernten Handlungsrepertoires gelangen oder bei denen sie das Gefühl haben, eine Situation nicht bzw. nicht ausreichend beeinflussen zu können, als sehr belastend erlebt werden. Ebenso weisen in der Regel Notfälle mit bestimmten Personengruppen, z.B. Kin- dern, eine hohes Belastungspotenzial auf. Dies konnte immer wieder in Studien und Befragungen ermittelt werden (6, 7). Darüber hinaus gibt es aber noch andere Faktoren, die zu einer negativen psychischen Beeinflussung von Einsatzkräften führen können und die nicht primär etwas mit dem Einsatzgeschehen zu tun haben. So sind die Organisation des Arbeitsalltags und die vorhandenen Kompetenzen der Helfer ebenfalls Einflussfaktoren, die sich positiv oder negativ auf die Verarbeitung von Einsätzen auswirken können: Fachliche Überlastungen, mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte, auch durch (empfundene) unan- gemessene Bezahlung, mangelnde Pausenzeiten und regelmäßige Überstunden können enorme Auswir- kungen auf die Stressverarbeitungskapazität haben (6, 8). Hinzu kommt in letzter Zeit eine zumindest gefühlte Zunahme von Gewalt gegen Mitarbeiter in den BOS-Organisationen allgemein, die eine abneh- mende Wertschätzung der Bevölkerung suggeriert. Zusammenfassend gehen also viele Faktoren in das eigene Stressempfinden und damit die Möglichkeit der Stressverarbeitung ein. Wird Stress hingegen als positive Herausforderung empfunden, kann dieser auch positiv auf die menschliche Psyche einwirken. Er wird dann als Eustress bezeichnet.
Tab. 2: Symptome akuter Belastungsstörung und posttraumatischer Belastungsstörung nach ICD-10 (10): |
Akute Belastungsreaktion (ABR) Die ABR ist eine vorübergehende Beeinträchtigung der Gesundheit, die sich als Reaktion auf eine außergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt und im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt. |
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Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Der Beginn einer PTBS folgt dem auslösenden Ereignis mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. |
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Ein vereinfachtes Schema für die Stressverarbeitung stellt das sogenannte Stressfass-Modell dar. Vereinfacht ausgedrückt symbolisiert das Fass die Fähigkeit, bis zu welchem Maß Stress aufgenommen werden kann, bevor es zu einer negativen Auswirkung kommt. Mit jeder Belastung füllt sich das Stressfass. Dabei spielt es keine Rolle, ob Stress wahrgenommen wird oder nicht. Ist das Fass vollends gefüllt, kann es zu kurzfristigen psychischen Erscheinungen wie einer akuten Belastungsstörung kommen (Tab. 2). Mittel- bis langfristig sind auch psychische Erkrankungen wie z.B. eine posttraumatische Belastungsstörung, Depression, ein Burnout oder eine Angststörung möglich. Neben den psychischen Symptomen stehen dabei auch physische Symptome im Vordergrund, wie am Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung in Tabelle 2 gezeigt wird. Damit einhergehend entwickeln sich oftmals zusätzliche soziale Konfliktfelder, die wiederum als Stressoren wirken und die psychische Gesundheit beeinflussen.
Wie man sieht, ist es also von untergeordneter Bedeutung, wie groß das Fass ist, wenn nur genug Stressoren das Fass füllen. Entscheidend ist es auf Dauer, die „Füllung des Fasses“ zu verhindern. Wie dies in der Praxis gelingt, ist zwar hochindividuell, jedoch gibt es zwei Ansätze: (a) entweder die Füllung des Stressfasses durch eine erhöhte psychische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) verhindern oder (b) einen Abfluss für die Stressoren schaffen. Konzepte hierzu sind bereits gut etabliert. Einen Überblick gibt der folgende Abschnitt.
Umgang mit Belastungen im Rettungsdienst
Unter dem Schlagwort „Psychosoziale Prävention“ werden alle Maßnahmen und Strukturen verstanden, die für die Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit von Mitarbeitern im Rettungsdienst bzw. im gesamten Einsatzwesen vorgesehen sind. Dazu gehören die Einsatzvorbereitung, die Einsatzbegleitung
und die Einsatznachsorge (5).
Das Arbeitsschutzgesetz hat die psychosoziale Prävention sogar als Teil der gesetzlichen Fürsorgepflicht festgeschrieben.
Für alle drei genannten Bereiche ist im Sinne der individuellen Selbstfürsorge jeder Mitarbeitende im Rettungsdienst zunächst einmal selbst verantwortlich. Gleichzeitig ist aber natürlich auch der Arbeitgeber in der Pflicht, für Rahmenbedingungen und Maßnahmen zu sorgen, die sicherstellen sollen, dass Belastungsfolgen gar nicht erst entstehen oder diese bei Auftreten zu einem dauerhaften Problem werden. Das Arbeitsschutzgesetz hat die psychosoziale Prävention sogar als Teil der gesetzlichen Fürsorgepflicht festgeschrieben (11). Rettungsdienstmitarbeiter werden in vielerlei Hinsicht auf ihre Tätigkeiten im Einsatz vorbereitet: Ihre theoretische wie praktische Ausbildung, Übungen und regelmäßige Fortbildungen bringen sie auf denaktuellen Stand und ermöglichen es, hinsichtlich der notfallmedizinischen Maßnahmen gut gerüstet in den Dienst gehen zu können. Ebenso wichtig ist es, dass Einsatzkräfte auf mögliche Belastungen vorbereitet werden und sich selbst vorbereiten. Maßnahmen der sogenannten primären Prävention umfassen also zwei Blickwinkel: Zur persönlichen Einsatzvorbereitung gehört es, sich selbst möglichst gut über alle Eventualitäten zu informieren: Was sind häufige Einsatzindikationen im eigenen Wachgebiet? Womit ist im Dienst zu rechnen? Aber auch: Wie gehe ich am besten mit Einsätzen um, die zwar selten vorkommen, aber ein erhöhtes Belastungstungspotenzial aufweisen? Hier kann z.B. der Austausch mit erfahrenen Kollegen eine gute Quelle für die Entwicklung eigener Strategien sein.
Darüber hinaus ist wichtig, sich um sein eigenes körperliches Wohlbefinden zu kümmern. Gesunde Ernährung und ausreichender Sport helfen einerseits dabei, den physischen Anstrengungen im Einsatzalltag etwas entgegenzusetzen. Andererseits haben beide nachweislich auch einen positiven Effekt auf das psychische Wohlbefinden. Das gleiche gilt für ein positives Hobby, bei dem man gut abschalten kann, und ein stabiles soziales Umfeld, das für gemeinsame Aktivitäten zur Verfügung steht.
Wesentliche Aspekte der Einsatzvorbereitung durch den Arbeitgeber betreffen die Arbeits- und Organisationsstrukturen in den Wachen (12). Damit ist gemeint, dass möglichst Wünsche der Mitarbeitenden hinsichtlich von Wachabteilungen und Schichteinteilung berücksichtigt werden, bewährte Teams erhalten bleiben und personelle Veränderungen mit Vorlauf geplant und besprochen werden sollten. Damit wird ein wichtiger Beitrag zum Betriebs- und Arbeitsklima geleistet. Weitere Möglichkeiten, positiv auf die Arbeitsatmosphäre einzuwirken, sind Maßnahmen zur Förderung der Gemeinschaft (z.B. Teamabende), deutlich formulierte Wertschätzung durch die Vorgesetzten sowie die Möglichkeit, Konflikte offen und konstruktiv austragen zu können (11). Letztlich liegt es auch in der Verantwortung der Arbeitgeber, im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung physische Präventionsmaßnahmen anzubieten, die auch eine positive Wirkung auf das psychische Wohlbefinden haben (12, 13). Dazu gehören etwa Sonderkonditionen bei Sport- und Fitnessangeboten, aber auch technische Ausstattungen, die die alltägliche Arbeit erleichtern (z.B. Beladehilfen) (11). Unmittelbar in einem Einsatzgeschehen sind Maßnahmen zur psychosozialen Unterstützung nur sehr selten notwendig (6, 11, 14). Allerdings können spezielle Situationen auftreten, in denen hin und wieder eben doch eine sofortige Intervention erforderlich ist. Verschiedene Anzeichen weisen in solchen Fällen darauf hin, dass die persönliche Belastungsgrenze eines Rettungsdienstmitarbeiters erreicht sein könnte.
Zu nennen sind z.B. Erstarrung und Lähmung, Orientierungsverlust sowie häufige „Fehlgriffe“ (15). Zunächst sollten Strategien der psychologischen Selbsthilfe angewendet werden. Bei einer besonders starken Erregung, d.h. einer „überschießenden“ Stressreaktion, sollten Rettungsdienstmitarbeiter sich z.B. einige Sekunden lang nur auf die Durchführung einer einzelnen Routinetätigkeit, wie z.B. die Messung des Blutdrucks, konzentrieren, tief durchatmen und das übrige Geschehen vorübergehend ausblenden. Schritt für Schritt kann dann noch einmal in Gedanken durchgegangen werden, was als nächstes zu tun ist (11). Solange die Einsatzkräfte „funktionieren“, ist während eines Einsatzes meist keine weitere psychosoziale Unterstützung durch den Arbeitgeber erforderlich. Es kann sogar schädlich sein, einen Rettungsdienstmitarbeiter bei seiner Arbeit zu unterbrechen, weil persönliche Schutzmechanismen dadurch unter Umständen aufgehoben werden (11). Bei Einsätzen, die besonders belastende Merkmale aufweisen, ist es dennoch im Sinne der sekundären Prävention empfehlenswert, speziell geschultes Personal für einen sogenannten „On Scene Support“ anzufordern. In Großschadenslagen kann z.B. ein Rückzugsraum für erschöpfte Kollegen oder Kameraden eingerichtet werden, und Helfer können für den Fall bereitstehen, dass ein Rettungsdienstmitarbeiter tatsächlich nicht mehr handlungsfähig sein sollte und abgelöst werden muss (11).
Einsatznachsorge bzw. die sogenannte tertiäre Prävention umfasst sowohl zeitlich als auch inhaltlich ein weites Feld: beginnend mit dem Einsatzabschluss, über mittelfristige Beratungs- und Gesprächsangebote bis hin zu langfristigen Versorgungsmaßnahmen für den Fall, dass das „Stressfass“ doch übergelaufen ist und Belastungen die eigenen Grenzen überschritten haben.
Belastende Gefühle und Gedanken kann man sich, wenn man dies möchte, durch Gespräche mit Freunden oder Kollegen „von der Seele reden“.
Im Rahmen individueller Einsatznachsorge sollte jeder Mitarbeitende im Rettungsdienst seine eigenen Bewältigungsstrategien anwenden, die auch ansonsten im Alltag bewährt und hilfreich sind. Um sich selbst zu verdeutlichen, dass ein belastender Einsatz abgeschlossen ist, können einfache Rituale durchgeführt werden, etwa sich umzuziehen, etwas zu trinken oder zu duschen. Darüber hinaus können Entspannungstechniken wie das Autogene Training oder die Progressive Muskelrelaxation angewendet werden. Ebenfalls hilfreich ist es, sich mit seinem Hobby zu beschäftigen, Sport zu treiben usw. Eine wichtige Funktion erfüllt natürlich auch die Unterstützung durch das eigene soziale Umfeld, insbesondere durch Gespräche mit Freunden, Angehörigen und Kollegen. Belastende Gefühle und Gedanken kann man sich, wenn man dies möchte, auf diese Weise „von der Seele reden“ (10, 14). Außerdem kann „expressives Schreiben“ hilfreich sein, etwa das Verfassen von Tagebucheinträgen bzw. die Verschriftlichung sehr persönlicher Gedanken zu einem Einsatz (15). Die persönlichen Bewältigungsstrategien können durch institutionelle, vom Arbeitgeber organisierte Einsatznachsorge sinnvoll unterstützt und ergänzt werden. Vielerorts werden z.B. Peers bzw. kollegiale Ansprechpartner ausgebildet, die in Einsatznachsorgeteams (ENT) zusammenarbeiten (11, 14).
Auch wenn Mitarbeiter im präklinischen Setting oft über ein „dickes Fell“ verfügen, sind sie doch vor den Folgen von belastenden Einsätzen nicht zwangsläufig gefeit.
Nach besonders belastenden Einsätzen werden von solchen Einsatznachsorgeteams meist strukturierte Gruppengespräche angeboten, etwa nach dem Konzept des Critical Incident Stress Management (CISM) bzw. der Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) (siehe Kasten) (17, 18). Reichen die bislang beschriebenen Nachsorgemaßnahmen nicht aus, kann schließlich eine längerfristige Begleitung, etwa in einer psychologischen Beratungsstelle oder einer Traumaambulanz, sowie gegebenenfalls auch eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung erforderlich sein. Dies ist jedoch eher selten der Fall (11).
Critical Incident Stress Management (CISM) und Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE)
Das Critial Incident Stress Management ist ein Maßnahmenpaket zur Einsatznachsorge, die in den 1980er Jahren in den USA von J.T. Mitchell und G.S. Everly entwickelt wurde. Es beinhaltet das mittlerweile in vielen Einsatzorganisationen verbreitete Peer-Prinzip und verschiedene strukturierte Gesprächsmaßnahmen:
- CISM Einsatzbegleitung („On Scene Support“)
- CISM Einzelgespräch
- CISM Einsatzabschluss („Demobilisierung“)
- CISM Kurzbesprechung („Defusing“)
- CISM Nachbesprechung („Debriefing“)
- CISM Informationsveranstaltung.
Die verschiedenen Maßnahmen sollten nicht losgelöst voneinander durchgeführt werden. Es handelt sich um ein Gesamtpaket mit bestimmten Abläufen, das von den Mitarbeitenden im Rettungsdienst freiwillig in Anspruch genommen werden kann.
In Deutschland wurde CISM durch den Verein „Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen e.V.“ (SbE) den regionalen Gegebenheiten angepasst. Die fachlichen und inhaltlichen Grundlagen sind weitgehend die gleichen wie im CISM-Maßnahmenpaket, allerdings mit einem spezifischen Fokus auf Organisationen im deutschen Einsatzwesen.
Fazit
Belastungen im Einsatz gehören zur alltäglichen Arbeit im Rettungsdienst dazu. Viele der Tätigkeiten sind sowohl physisch als auch psychisch anspruchsvoll. Das eingangs beschriebene Fallbeispiel verdeutlicht, wie schnell ein Einsatz zu einer individuellen Belastungsprobe werden kann. Auch wenn Mitarbeiter im präklinischen Setting oft über ein „dickes Fell“ bzw. eine hohe Widerstandsfähigkeit und Resilienz verfügen, sind sie doch vor den Folgen von belastenden Einsätzen nicht zwangsläufig gefeit. Ob und wie sich allerdings Belastungsreaktionen und/oder -störungen entwickeln, hängt von individuell unterschiedlichen Faktoren ab. Das hier verwendete Bild des „Stressfasses“ macht deutlich, dass es sich zumeist nicht nur um den einen schwierigen Einsatz handelt, der psychische Belastungsfolgen nach sich
zieht. Vielmehr handelt es sich in der Regel um ein Zusammenspiel unterschiedlicher Aspekte: Schwierige Vorerfahrungen, berufliche Überlastung, persönliche Schwierigkeiten usw. gehören z.B. dazu. Um akuten, mittel- und langfristigen psychischen Belastungsfolgen etwas entgegenzusetzen, gibt es
verschiedene Herangehensweisen. Zum einen liegt es in der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen Rettungsdienstmitarbeiters, für Vorsorge und Entlastung zu sorgen: Der persönlichen Selbstfürsorge vor, während und nach dem Einsatz kann z.B. durch eine grundsätzlich gesunde Lebensweise, persönliche Reflexion und die Anspruchnahme von Nachsorgeangeboten Rechnung getragen werden. Gleichwohl liegt es beim Arbeitgeber, für die passenden Rahmenbedingungen zu sorgen. Ihm fällt die gesetzliche Pflicht zu, entsprechende Präventionsmaßnahmen vorzuhalten und umzusetzen.
Autoren:
Thomas Rielage
Master of Disaster Management
and Risk Governance,
Facharzt für Anästhesie, Notfallmedizin,
ärztliches Qualitätsmanagement,
Palliativmedizin,
Suchtmedizin
Klinik für Anästhesiologie
und operative
Intensivmedizin
Klinikum Osnabrück gGmbH
Am Finkenhügel 1
49076 Osnabrück
thomasrielage(at)web.de
Dipl.-Soz.Wiss.
Verena Blank-Gorki
Fakultät Gesundheitswissenschaften
MSH Medical School
Hamburg
Am Kaiserkai 1
20457 Hamburg
verena.blank-gorki(at)medicalschoolhamburg.de
Prof. Dr. phil.
Harald Karutz
Fakultät Gesundheitswissenschaften
MSH Medical School
Hamburg
Am Kaiserkai 1
20457 Hamburg
harald.karutz(at)medicalschoolhamburg.de
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